Seite:De humanismus (joachimsen) 026.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

vielleicht auch nach der origo der Franken oder Schwaben, aber nicht nach der Herkunft des deutschen Volkes. – Das Zweite ist die Erfüllung des Begriffs der deutschen Nation mit einer ethischen Vorstellung. Denn dieser Begriff war zunächst nichts als eine landsmannschaftliche Zusammenfassung, die auf den Universitäten und dann auf den Konzilien ihre Rolle spielte. Hier haben die Poeten die Arbeit der Juristen, die wir bei den Gravamina beobachten konnten, fortgesetzt. – Das Dritte ist die Herausarbeitung eines Idealtypus des deutschen Menschen, für den die Germania des Tacitus fast alle Wesenszüge liefert. Was hier die Vergangenheitsspiegelung einer Gegenwartssehnsucht ausmacht, kann man an dem Begriff der deutschen Einfalt sehen. Er war vorhanden, aus dem Gefühl des Gegensatzes zu den „schlauen Welschen“ geboren. Aber jetzt streift er das Stück Minderwertigkeitsgefühl ab, das ihm zugrunde liegt, und bekommt die Bedeutung eines ethischen Postulats für die Gegenwart[1]. Ein anderer Führer der Poeten, der schwäbische Bauernsohn Heinrich Bebel, entwickelt einmal recht kunstvoll, daß in den Worten des Tacitus: „plus apud eos boni mores valent quam alibi bonae leges“ die Erklärung dafür liege, daß den alten Germanen sowohl Philosophen wie Gesetzgeber gefehlt hätten. Er benützt das, um zu zeigen, daß die germanische Staats- und Lebensweisheit in den deutschen Sprichwörtern liege. – Das Vierte ist die neue Unterbauung des Begriffs des Imperiums. Es soll den Deutschen gehören, nicht weil es römische Päpste deutschen Kaisern verliehen haben, sondern weil die Germanen die Besitzer und Erben des römischen Reiches geworden sind. Ein junger Adept der Celtisschule, Franziscus Irenicus, spricht das in einem wunderlich-phantastischen Werke aus[2], aber schon bei Bebel ist dieser Gedankengang ganz deutlich.

All diese Gedanken verbinden sich in der Auswertung des taciteischen: Germani sunt indigenae. Damit ist der Begriff des deutschen Volkstums entdeckt. Es ist ein Altertum wie das

  1. Eine erste Stufe der humanistischen Formung der Begriffe ist die Rede Gregor Heimburgs auf dem Mantuaer Kongreß 1459, wo Heimburg zum Papste als Entschuldigung der Spitzen und Grobheiten seiner Rede sagt: „Ignosce theothonico ritui, qui etsi a stilo romano paululum declinet, tamen a pietate naturae non abhorret“. Voigt, Enea 3, 78². – Die ausgebildete Vorstellung dazu in Huttens Arminius, wo sich Arminius weigert seine Taten selbst zu verkünden, weil das der deutschen Bescheidenheit widerspreche.
  2. Darüber meine Arbeit über Geschichtsauffassung S. 167 ff,
Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 444. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_026.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)