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der italienischen Akademien, als solche gesellschaftliche Vereinigungen einer gleichgesinnten Bildungsschicht. Aber in Deutschland fehlt auch hier die Tradition, die Anknüpfung an die alten Liebeshöfe des Minnesangs und an die halbgelehrten Diskussionen der Fürstenhöfe der Provence und Unteritaliens, die dort zwanglos einen Standeszusammenhang und doktrinelle Beziehungen zu einer neuen gesellschaftlichen Bildungsgemeinschaft umgeschaffen haben. Die deutschen Sodalitäten werden aber auch nicht Gefolgschaften eines Schulhaupts, wie in Neapel, Rom und Florenz. Sie sind Propaganda-Organisationen für die neue „Humanitas“ als Bildungs- und Lebensform und vor allem für die neuen Bildungsinhalte.

Und hier sehen wir nun zum zweiten Male, auf höherer Stufe als bei der Elsässischen Schule, daß für den deutschen Humanismus die Probleme der Formung und der Normierung auseinanderfallen. Denn wenn auch für die Sodalen des Celtis die Antike in ganz anderer Geschlossenheit und Klarheit als ein ästhetisches Ideal erscheint als für die Elsässer, wenn man in diesen Kreisen den Geburtstag des Plato begeht, wie es die Florentiner tun, wenn man Statuten schafft, die den Eintritt in den Kreis der neuen Gebildeten an die Kenntnis der drei heiligen Sprachen, Latein, Griechisch und Hebräisch, binden, so ist doch das Reich der sittlichen Werte in dem Kreis des eigenen nationalen Lebens beschlossen. Denn dieses Leben hat jetzt seine eigene wieder zu belebende Vergangenheit. Und diese liegt nicht mehr in der Benediktinerkultur Karls des Großen, sondern in der germanischen Urzeit, die man durch die wiederaufgefundene Germania des Tacitus kennen gelernt hatte[1].

Der deutsche Humanismus tritt in die Periode der nationalen Romantik. Sie ist für die Geschichte des deutschen Geistes, wenigstens was die Vermehrung der Inhalte betrifft, vielleicht noch wichtiger geworden als die zweite Romantik, von der ich Name und Wesensbestimmung hierher übertrage. Denn was war nicht alles neu zu finden! Das erste ist die Anknüpfung der deutschen Geschichte überhaupt an die des Germanentums. Dieser Zusammenhang war für das Mittelalter verdeckt durch den Begriff der translatio imperii. Man fragte nach der Herkunft des Reiches,

  1. Vgl. meine Arbeit, Tacitus im deutschen Humanismus (Neue Jahrbücher für d. klass. Altertum 1911. 1. Abt. XIV, 697 ff.).
Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_025.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)