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Antike irgendwie normgebend wirkt. Auch die ästhetischen Ideale Brants und Wimpfelings – Geiler kommt hier nicht in Betracht – sind trotz ihrer Kenntnis der Italiener und der Alten nirgendwo antik. Und doch stehen wir vor der Tatsache, daß ein uns so unhumanistisch dünkendes Werk wie Brants ’Narrenschiff’ von den Humanisten begeistert begrüßt, ins Lateinische übersetzt, mit Dantes divina Comedia verglichen werden konnte[1]. Dieser Vergleich erklärt uns aber auch die Sache selbst. Das Narrenschiff ist für diesen Anfang der deutschen humanistischen Bewegung ein erster Versuch, die Buntheit der Erscheinungen der Zeit, deren Sinnlosigkeit immer stärker auf die Menschen drückt, zu ordnen. Es ist zugleich eine freilich noch sehr naive Psychologisierung der menschlichen Leidenschaften und ihre Ausprägung, ein Versuch, der aus dem immerhin humanistischen Gedanken entspringt, daß auch Sünden und Laster Narrenwerk, d. h. Abfall von der natürlichen, dem Menschen gegebenen Vernunft seien. Daß das Gedicht daneben, wie fast die ganze Produktion der Elsässer, satirische Polemik ist, zeigt die problematische Stellung dieser Menschen zu ihrer Zeit überhaupt. Ja, man könnte sagen, in dieser elsässischen Gruppe spiegelt sich die ganze Problematik der Lage des großen geistlich-weltlichen Gemeinwesens, das sich eben damals heiliges römisches Reich deutscher Nation zu nennen begann. Ein wachsendes Bewußtsein nationaler Eigenart, das sich doch nur in universaler Form zu gestalten gewohnt ist, ein humanistischer Optimismus, der sich doch auf Schritt und Tritt Unmöglichkeiten des Lebens gegenüber sieht, eine starke Empfindung dafür, daß die Grundfrage

  1. Der Übersetzer ist Jacob Locher Philomusos. In seinem Prologus in Narragoniam beißt es: Hanc scribendi libertatem ... Seb. Brant ad communem mortalium salutem lingua vernacula celebravit. Imitatus Dantem Florentinum atque Franciscum Petrarcham heroicos vates, qui Hetrusca sua lingua mirifica contexuere poemata. Vgl. seine Verse vor dem von Brant herausgegebenen Laienspiegel Ulrich Tenglers (Augsburg 1511): Quod potuit Dantes Etrusca dicere lingua, Cum fingit manes Tartareosque deos, Cum causas rerum, coeli scrutatus et arces Grandisonis rhytmis magnaque facta canit ... Atque ut conticeam Brantum sermone pedestri Qui navem duxit per mare stultivagam, Nonne si vulgari Germanoque ore recenset Stultorum mores fataque et interitus? – Zum Vergleich der Auffassung ist von Interesse, daß man im 14. Jahrhundert in Paris erzählte, Dante habe während seines Pariser Aufenthalts den Entschluß gefaßt, seine Divina comedia nach dem Muster des Rosenromans zu dichten (F. A. Huhn im Jahrbuch d. kunsthist. Sammlungen d. allerhöchsten Kaiserhauses Bd. 31, S. 1).
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Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 440. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_022.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)