Seite:De humanismus (joachimsen) 019.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Rivale des theologus, der besser theosophus heißt[1]. – Neben diesen Gemeinsamkeiten mit Italien gibt es aber in Deutschland sogleich Besonderheiten der Entwicklung. Die Ideale, die das Humanitätsideal spiegeln, werden sozusagen stärker mit Stoff bepackt. Der Dichter vor allem, der bei uns fast immer auch historiographus heißt. Und, das Wichtigste, sie werden fast alle ins Pädagogische gewendet. Daß dies geschieht, hat seinen Grund zunächst in dem Fehlen von Staat und Gesellschaft im italienischen Sinn. Denn sowohl der orator, wie der poeta, wie schließlich auch der philosophus wirkt wenigstens der Idee nach in der öffentlichen Sphäre, die das Altertum wirklich kannte, der italienische Stadtstaat immerhin vortäuschte. In Deutschland ist das anders. Und wenn auch schließlich der deutsche Humanist nicht viel weniger Gelegenheit findet als der italienische, Feste und politische Handlungen durch Prunkreden zu verschönen, so kann man doch von einer Wirkung dieser Rede auf das öffentliche Leben nicht sprechen. Es ist doch sehr charakteristisch, daß wir von dem stärksten staatsmännischen Talent des deutschen Humanismus, von Sleidan, nur fingierte Reden haben, und daß anderseits ein so recht eigentlich deklamatorischer Mensch wie Wimpfeling in der pädagogischen Paränese auf- und untergeht.

So wird das nächste Wirkungsgebiet des deutschen Humanismus die Schule, und vor allem die Universität. Und hier findet er ein günstigeres Feld als irgendwo anders. Denn die deutschen Universitäten sind Fürstenuniversitäten. Die Gründung der zweiten Periode, die mit 1456 beginnt, steht bereits unter dem Einfluß der Höfe, die sich der neuen Bildung zugewendet haben, und so wird das Stück Fürstenerziehung, das auch der deutsche Humanismus treibt, für ihn auch ein Weg in die Bildungsanstalten. Außerdem aber begünstigt noch ein anderes Moment die Eroberung der Universitäten durch den Humanismus. Den deutschen Universitäten fehlt die feste scholastische Tradition der französischen und der englischen. Und wenn auch der Kampf der „beiden Wege“ für die allgemeine Bildungsgeschichte Deutschlands weniger wichtig geworden ist, als man lange gemeint hat[2], so sehen wir doch, etwa

  1. Dafür vor allem Mutian; s. u. S. 456 f.
  2. S. G. Ritter, Studien zur Spätscholastik I und II (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie 1921 u. 1922) und Joh. Haller, Die Anfänge der Universität Tübingen. Stuttgart 1927.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_019.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)