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Hintergrund, auf dem sich die avara Babilone, das päpstliche Avignon abhebt[1]. Er gewinnt den räumlichen Zusammenschluß einer Welt, in der es Dichter, Helden, Heilige gibt, die er in der Gegenwart vermißt.

Damit ist er am Ziel. Die Stimmen der Vorzeit, die ihm in der Jugend wie die des bösen Gewissens waren, klingen ihm jetzt als wären sie Ausdruck seines eigenen Wesens[2]. Er schreibt Briefe an Cicero, Seneca, Livius wie an Freunde und schließt mit ihnen die Sammlung seiner Briefe an die Zeitgenossen. Er sammelt um sich die viri illustres der Vergangenheit, das große Pantheon von Heldentum, Größe und Sittlichkeit. Er hat die andere Welt gefunden, in der er leben kann, und damit die Einheit seines Wesens, die er suchte. Dafür ist die Kluft zwischen Vergangenheit und Gegenwart unüberbrückbar aufgerissen. Nur der Flügel der Sehnsucht trägt hinüber.

Bemerken wir noch einiges bei diesem Vorgang. Petrarcas Streben nach dem Altertum als einer andern bessern Welt ist nach seinem Wesen und nach Petrarcas eigener Anschauung nicht verschieden von dem Streben nach der Ruhe der Seele in Gott. Wäre Petrarca ein anderer Mensch gewesen, so hätte dieses ihn, wie Unzählige vor ihm und nach ihm, ins Kloster geführt. Er selbst empfindet seine ganze Arbeit an sich selbst nicht anders als ein Mönch des Mittelalters sein Streben nach Vervollkommnung im Dienste Gottes. Das ist Petrarcas Religion, über die man so viel geschrieben hat. Sie ist keine Lüge und nicht einmal Selbsttäuschung. Diese Flucht in die Antike als Flucht aus der Welt ist soweit Religion, als sie bei einem nur ästhetischen Menschen möglich war. Aber eben diese Umsetzung des religiösen Triebs in den ästhetischen, des Sündengefühls in den Weltschmerz, der Hingabe an Gott in die Kultur der Seele als Selbstzweck – dies alles bezogen auf die Antike als eine bessere Welt, schafft den Humanismus als historische Bewegung in seiner ersten, individual-psychologischen Form, macht ihn, so dürfen wir hinzusetzen, als Kulturmacht in einer christlichen Welt überhaupt erst möglich.

  1. Darüber Gutes in der neuen Ausgabe des ’Buch ohne Namen’ durch Paul Piur. Halle 1925.
  2. Epp. famil. XXII, 2 an Boccaccio: Haec (was er bei den Alten gelesen hat) se mihi tam familiariter ingessere et non modo memoriae sed medullis affixa sunt, unumque cum ingenio facta sunt meo.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_006.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)