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seines Selbst gegen den schlechteren, den von Liebe und Ruhm geleiteten, zum Siege verhelfen. Das gelingt ihm nicht. Aber indem Petrarca sich ein Bild Augustins entwickelt, wie er es braucht, glaubt er zu erkennen, daß dieser Augustin nicht anders von der Weisheit des Altertums lebt, wie er selbst von ihr leben möchte[1]. Und daraus folgt ein Doppeltes, gleich Wichtiges. Indem sich Petrarca neben Augustin stellt, gewinnt er als erster dieselbe Aussicht in die Welt des Altertums, die Augustin als Letzter gehabt hat. Augustin bietet ihm die Vereinigung von Christus und Cicero, die er seit langem sucht[2]. Und er gewinnt die Fähigkeit, wiederum als Erster, nicht wie der wirkliche Augustin die Welt der Antike zu überwinden, sondern, wie er es von seinem Augustin voraussetzt, in ihr zu leben. Die Flucht in das Altertum wird für ihn ein anderer Weg der Flucht aus der Welt.

Den letzten Schritt tut Petrarca in Rom. In dem Rom der Barone und der gotischen Türme hat er schon bei seinem ersten Besuch das Rom der Scipionen, des Paulus und Petrus wiedergefunden. Das phantastische Abenteuer Cola di Rienzos belehrt ihn, daß eine reale Wiederbelebung dieses Rom unmöglich ist[3]. Aber nun gewinnt er in dem Rom seiner Vorstellung den idealen

  1. Die entscheidende Stelle, im 1. Buch des Secretum gibt Anlaß zu einer sehr merkwürdigen Beobachtung: Petrarca preist seinem Beichtiger Augustin dessen Buch ’De vera religione’, das für ihn eine Entdeckung gewesen sei, und Augustin nimmt dies Lob an und bemerkt, er sei zur Abfassung hauptsächlich durch eine Zeile des von Petrarca so geliebten Cicero bestimmt worden, und nennt auf weiteres Befragen als diese Zeile Tusculan. I, 38: „Nihil enim animo videre poterant, ad oculos omnia referebant. Magni autem est ingenii sevocare mentem a sensibus et ad cogitationem ab consuetudine abducere.“ Die Stelle könnte an sich wirklich ein Programm für Augustin gewesen sein. Aber eigene Nachforschung und Erkundigung bei den besten Augustinkennern haben ergeben, daß Augustin nirgendwo etwas Ähnliches sagt. Woher Petrarca das hat, weiß ich nicht. Er wiederholt die Behauptung De vita solitaria Lib. I, sect. 9, cap. 8. Aber ob Petrarca das nun selbst erfunden oder irgendwo gelesen hat, es ist, meine ich, ganz deutlich, daß er Augustin nur auf der Folie des Altertums sieht und ihn damit natürlich total mißversteht. – Man sehe einmal, wie sich Burdach (Vom Mittelalter zur Reformation Bd. V [1926], S. 72) den Zusammenhang zurechtlegt.
  2. Die Formel ist: Christus equidem Deus noster, Cicero autem nostri princeps eloquii. Diversa fatear; adversa negem. (Epp. famil. XXI, 10.)
  3. Das ist die eigentliche Bedeutung der Rienzo-episode für den Humanismus. Petrarca hat sich das so zurechtgelegt, daß er bekennt, das geplante Epos auf Rienzo, um dessentwillen er seine Africa hatte liegen lassen, wäre eine satira geworden.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_005.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)