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Was wir Ueberleben unsrer selbst, also Tod nennen, ist bei bessern Seelen nur Schlummer zu neuem Erwachen, eine Abspannung des Bogens zu neuem Gebrauche. So ruhet der Acker, damit er desto reicher trage: so erstirbt der Baum im Winter, damit er im Frühlinge neu sprosse und treibe. Den Guten verlässet das Schicksal nicht, so lange er sich nicht selbst verläßt, und unrühmlich an sich verzweifelt. Der Genius, der von ihm gewichen schien, kehrt zu rechter Zeit zurück, und mit ihm neue Thätigkeit, Glück und Freude. Oft ist ein Freund ein solcher Genius; oft ists ein unerwarteter Wechsel der Zeiten. Opfre diesem Genius, auch wenn du ihn nicht siehest; hoffe auf das zurücksehende, wiederkehrende Glück, wenn du es gleich entfernt glaubest. Ist die linke Seite dir wund, lege dich auf die rechte; hat der Sturm dein Bäumchen hieher gebeugt; suche es dorthin zu beugen, bis es wieder seine aufstrebende Mitte erreiche. Du

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Vierte Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1792, Seite 375. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_IV_(Herder)_397.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)