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und es wahrscheinlich die Indier glaubten: so hat Duschmanta eben so viel Anrecht an unser Mitleid als Sakontala selbst; und der Dichter hat gewiß nichts versäumt, ihm dieses zu erwerben. Aeußerst hat er den König geschont und geehret; das Versprechen, Sakontala abzuholen, ist nicht vor unsern Augen geschehen, und ehe sie ankommt, erblicken wir ihn unter den edelsten Beschäftigungen seines königlichen Amtes. Sie steht vor ihm; er kennet sie nicht: durch Macht des Schicksals ist Wald und Alles aus seinem Gedächtnisse verschwunden; alle seine Mühe, eine Spur davon in seiner Seele aufzufinden, ist vergeblich. Selbst da die Götter sie weggerückt haben, schreibt ers der Zauberei zu. Aber der Ring wird gefunden; auf einmal fällt der Nebel von seiner Seele, und er ist im entsetzlichsten Zustande. Kein Vergnügen, selbst keine seiner edeln Königsverrichtungen, die Götter allein können ihn daraus reissen. Der Dichter rechnete darauf, daß wir dies alles, wie er es uns vorstellt, glauben sollten; Aristoteles aber rechnete

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Vierte Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1792, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_IV_(Herder)_310.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)