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Französisches Trauerspiel dauert uns Deutschen länger, als das längste Stück von Shakespear: oft wird uns in der Vorstellung lang, was uns im Lesen sehr kurz ist, oft umgekehrter Weise. Kurz, ein Dramatisches Stück sei ein Ganzes von Anfange bis zu Ende, belebt in allen seinen Theilen und Gliedern zu seinem dramatischen Endzweck: so hat es sein Maas, seine Größe in sich. Sakontala ist ein solches Ganze, das keinen Theil zu viel oder zu wenig hat, und den Indiern, die daran Interesse fanden, gewiß übersehbar, ja im höchsten Grad befriedigend seyn mußte. Die Fabel rollet sich aufs eigenste ab; höchst einfach, ohne Episoden fortgeführt, lässet sie sich Zeit, und doch eilt sie mit jedem Wort, mit jedem neuen Begegniß zu Ende.


Nicht andere Bewandniß scheints mit dem andern Theil der Aristotelischen Erklärung des Trauerspiels zu haben, in Scenen, welche dahin gehören: denn wenn dies Drama durch Mitleiden

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Vierte Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1792, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_IV_(Herder)_308.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)