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der die Vergangenheit aufs Jetzt, und da dieses in jedem Augenblick vorüber ist, aufs fortgesetzte Jetzt, die Zukunft, richtig anwendet. In jeder seiner Wirkungen also ist der Mensch eine fliessende Größe. Darauf beruhen die Gesetze seiner Erziehung; seine Bildung und Misbildung, sein Glück und Unglück, der Nutze oder Schade, den er stiftet, fließen daher; und was der einzelne Mensch ist, ist auch sein Geschlecht: denn jedes Glied desselben griff vorwärts in die Kette der Wirkungen vor ihm und ließ menschliche Wirkungen nach. Der menschliche Verstand ist, wenn ich das Gleichniß brauchen darf, ein Januskopf mit drei Gesichtern: man kann zuviel in die Vergangenheit, zuviel in die Zukunft sehen, und darüber das Jetzt versäumen; wie dem aber auch sei, keines dieser Verhältnisse lässet sich vom andern trennen und scheiden. Die regsten Neigungen und Triebe unsres Geschlechts zielen auf diese Fortwirkung, das Streben nach Selbsterhaltung, Gesundheit, Macht, Vergnügen, Ruhm und Glück, die Liebe sein selbst, so wie die Geschlechter- Eltern- Vaterlandes- und Menschenliebe.

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Vierte Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1792, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_IV_(Herder)_191.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)