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nur in andern seiner Art fort, denen es sich mit seiner ganzen Erscheinung gleichsam aufopferte und hingab. Diese Regel der Natur, die in Pflanzen und Thieren sichtbar ist, gründet eine Verewigung der Arten, zu welcher denn auch alle Triebe der einzelnen Wesen, ihre Begierde nach Nahrung, Wachsthum, und sowohl die Geschlechter- als mütterliche Liebe beitragen.

Der Mensch, als Thier und Pflanze, ist diesem Gesetz unterthan; er ists aber auch, als ein kurzer Inbegrif und Abbild der Natur, in der eigensten Einrichtung seiner Gattung. Sein Verstand und seine Vernunft bedörfen zu Aeußerung ihrer Form sowohl der Vergangenheit als der Zukunft: die Erscheinungen Jener bewahrt sein Gedächtniß auf, die Einbildungskraft stellet sie dar, der Verstand bildet aus ihnen Erfahrungen, die er auch auf die Zukunft anwendet. Seine Seele ist also nicht aufs Jetzt eingeschränkt; sie muß, ihrer Art nach, vom Vergangenen für die Zukunft leben, und eben der ist der verständigste, oder gleichsam der eigentlichste Mensch,

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Vierte Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1792, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_IV_(Herder)_190.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)