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fremden Charakter nur einzulassen und zu finden. Ein gemeinschaftliches politisches Vaterland haben die Völker Europens gar nicht mehr; die wenigsten haben es innerhalb ihrer eignen Grenzen. Friedrich der Große, der einen Alexander und Cäsar in Manchem weit übertrift, und dem die Götter selbst in seine Gesichtszüge das Gepräge der Unsterblichkeit drückten, wird schwerlich je so allgemein- so klassischberühmt werden, als Alexander und Cäsar es sind und waren; er stehet, der Zeit nach, hinter zu vielen andern, und muß mit ihnen allen den Wettlauf nach dem Kranze des Ruhms wagen. Und wo stehet das Ziel dieses Wettlaufs? Welche Hellenodiken theilen den Kranz aus? Den Augur an der Tiber wird niemand dafür erkennen; in seinen theuren Himmel will niemand Rechtliches mehr. Ueberdem ist auch sein Kalender voll, seine Altäre sind besetzt und die Litanei der Heiligen überhaupt ist eine schlechte Pindarische Ode. Die Heroen der alten Welt, die Götter Griechenlandes und Roms sind gefallen; Jahrhunderte haben sich

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Vierte Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1792, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_IV_(Herder)_173.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)