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im gemeinen Leben Handlung nennet;) nicht blos in einer feinen Veränderung von Gedanken: so mußte also auch die Darstellung derselben in der Fabel seyn. Beide Stücke machen Aesops Fabeln so anschaulich, sie machen sie auch für den gemeinen Mann und für Kinder so lehrreich, als es – Leßings Fabeln nun wohl nicht sind, auch wohl nicht seyn konnten und sollten. Nichts als die Zeiten haben sich verändert. Die Leser, für die Leßing schrieb, bedürfen feinere Lehren, also auch die Darstellung eines feinern Facti, das freylich oft nur eine Gedankenfolge zu seyn scheint. Das anschauliche, Populäre der Fabel geht hiemit eines Theils verlohren; der Leser gewinnt indeß feinern Witz, feinere Belehrung. Will man, so nenne man diese eine feinere Gattung äsopischer Fabeln; und bemerke bey der Theorie der Fabel unter den drei Worten „allgemeiner moralischer Satz“ „Darstellung in einem besondern Falle“ „anschauendes Erkänntniß jenes in diesem“ den Unterschied: so ist der Streit gehoben. –

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_388.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)