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Todtenhaus und ein Skelet liegt daneben; a)[1] was kann es bedeuten als was seine Gestalt zeigt? den entseelten Leichnam des Hinweggeführten. Hier ist ein Todtenhaupt: b)[2] der Schmetterling fliegt über demselben: der Aschenkrug, die Mohnblume, das Rad des Verhängnisses sind daneben; was kann das Haupt bedeuten, als den Ueberrest des Todten, dessen Asche die Urne empfing, der von der Blume des Schlafs eingeschläfert, in Friede schlummert, nachdem ihn das rollende Rad des Schicksals stürzte; die Seele schwebt über dem todten Leichnam. So auf andern Denkmahlen, selbst den barbarischen Stein nicht ausgenommen, auf den Leßing seine Hypothese fast allein bauete; die gestreckte Stellung zweier Gestalten auf ihm zeigt gnugsam, was sie bedeuten. c)[3]


  1. a) Gorii Inscr. T. I. p. 382.
  2. b) Liceti Hierogl. p. 158. Gestreckte Skelete s. Fabretti inscr. p. 17.
  3. c) S. Gori Inscr. I. p. 455. (Passeri gemm. astrif. P. II. p. 248.) Seiner Kunst nach ist der Stein[355] gar keiner Aufmerksamkeit werth; einer der sogenannten magischen, gnostischen oder basilidianischen Steine, voll unzusammenhangender griechischer Buchstaben und barbarischen Töne. Ein Gerippe, mit der Peitsche in der Hand, steht auf einem Wagen der mit zwo Löwinnen bespannt ist; gegen ihm über steht und unter den Füssen der laufenden Thiere liegt ein gestrecktes Todtengerippe. Die beiden liegenden Gerippe zeigen, was sie seyn sollen, starre Leichname: ein Ungeheuer, mit der Peitsche in der Hand, auf einem Wagen von Löwen oder Löwinnen gezogen, ist uns auch aus ähnlichen Steinen zu sehr bekannt, als daß wir es für einen Lemur, (der hier ja keine Lebendigen erschreckt,) oder sein Fuhrwerk für ein Spiel der Abgeschiedenen, (die doch mit keinen Löwinnen ihre Spiele treiben,) halten könnten. Den mystischen Sinn des armseligen Arbeiters zu enträthseln, lohnet es nicht der Mühe; wie er aber auch ausfalle, kann er unmöglich die angenommene Mythologie der Griechen und Römer über ihre Abgechiedenen umstossen, die aus Dichtern und Künstlern einstimmig bekannt ist.
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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_354.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)