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den Edeln oder der Ungleiche den Ungleichen angreift: jeder sich selbst rühmende Held beuget vor, daß ihm dieser Selbstruhm nicht möge verdacht werden (νεμεσαειν) ja auch in der stärksten Leidenschaft ist einem Achilles sogar die Warnung der Götter vorm Uebermaasse heilig. Voll von gerechtem Zorn jagt er sein Schwert in die Scheide, da Pallas Athene ihn bei der blonden Locke faßt und ob er es gleich auf seines todten Patroklus Brust geschworen hatte, den Leichnam seines Mörders und Räubers den Hunden zu geben, so läßt er doch alsofort von diesem Vorsatz ab, da seine Mutter ihm andeutet, daß Jupiter an dieser zu weit getriebenen Rache Misfallen haben mögte. Diese bescheidne Scheu vor dem gerechten Misfallen der Götter und Menschen ist die wahre Verehrung der Nemesis, die uns auch von dem zurückhält, was wir uns allenfalls erlauben könnten und was sich der Tollkühne ohne Bedenken erlaubte. Eine Schwester der Schaam, ist diese zarte Empfindung, von der kein Thersites

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_270.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)