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nachschleicht, weiß die leichtsinnigen Anmassungen des Uebermüthigen zu zügeln und den stolzen Nacken zu beugen. Ein Morgenländer würde ihr zu diesem Zweck den Becher der Verwirrung in die Hand gegeben haben, mit dem sie die Seele des Anmassenden in Taumel oder Schlaftrunkenheit senket; der Grieche blieb bei den Symbolen der Gerechtigkeit und des Glücks, dem Rade, dem Zügel, dem Maas, der Waage; und so stellete er auch in diesen ernsten Beschäftigungen Nemesis als eine Wohlthäterin dar, eine Wohlthäterin fürs Ganze der Menschheit. Indem sie den Uebermüthigen einhält und die wilden Roße seiner Unternehmungen mit vester Hand bezügelt, rettet sie den Unglücklichen, der unter den Fußtritten derselben als ein zerknicktes Rohr da lag. Indem sie das Rad des Glücks mit leisem Fuß, oder die Waage des Schicksals mit leisem Finger ändert, kommt eine neue Gestalt der Dinge zur Ansicht, die ein billigeres Gleichgewicht zeiget. Also führen auch diese Attribute der Nemesis sich auf jene ewigen

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_257.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)