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die sich gern glücklicher als andre fühlet; sondern, wie ich glaube, weil unsre Kräfte, wenigstens unsre Neigungen bei dem Unglück des Andern mehr aufgeboten und auf eine angenehmere Art ins Spiel gesetzt werden, als bei seinem satten Glücke. Dort nämlich fühlen wir uns in dem schmeichelnden Vorzuge ihm helfen zu können; oder wenn wir dunkel empfinden, daß dasselbe Uebel auch uns hätte treffen mögen, von dem wir jetzt durch die Güte des Schicksals befreiet sind, so mischt sich nothwendig der Schmerz des Theilnehmenden mit einer geheimen tröstenden Freude. Und da aus der Fülle und Mannichfaltigkeit gemischter Empfindungen ihr Leben und ihre Anmuth erwächst, so wirkt allerdings das Mitgefühl mit Unglücklichen stärker und süsser, als der kalte Blick auf das Glück des Andern. Dieser bedarf unsrer Hülfe nicht: wir können zu seinem Zustand nichts hinzuthun, wir sollen nur schauen und rühmen; eine Anschauung, die bald gleichgültig macht, ein Ruhm, der bald ermüdet. Unvermerkt schleicht sich also, da unsre

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_249.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)