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Morus und Melanchthon, Sleidan und Scaliger, Buchanen. Dousa und so viel andre hervorglänzen, und wage es geradezu, das griechische Epigramm auch als ein schönes Vorbild jugendlicher Uebungen zu empfehlen.

Meine Gründe hiezu sind diese. Zuerst kenne ich keine Dichtungsart, die ein so unmittelbarer Uebergang von allem Anschaulichen, was den menschlichen Geist oder das Herz interessiren kann, zu einer reinen Exposition und zu einer bestimmten energischen Sprache wäre, als das Epigramm der Griechen. In ihm lernt der Jüngling eine schöne Ründe, eine liebliche Klarheit, ein Eilen zum Ziel auf dem kürzesten, treffendsten Wege. Eine sogenannte begeisternde Ode läßt sich leicht herschwärmen, eine läßige Idylle leicht herschlentern; manches müßige Wort in ihnen wird übersehen, ja in manchem Ganzen weiß der Autor selbst nicht was er wollte. Bei dem Epigramm nicht also. Hier ist der Gegenstand, das Ziel, die Form sehr bestimmt gegeben; kein Wort darf müßig stehn, kein Zug

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_159.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)