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Epigramme Wirkung? Mit nichten; der Ausdruck selbst will etwas viel Edleres sagen. Jeder Gegenstand nämlich, der vorgezeigt werden soll, bedarf Licht damit er gesehen werde; der Künstler also, der fürs Auge arbeitet, muß auf Einen Gesichtspunct arbeiten und für ihn das Moment seines Subjects wählen. Was dem Künstler dieser Gesichtspunct von innen ist; das ist dem Epigramm die Pointe. Der lichte Gesichtspunct nämlich, aus dem der Gegenstand gesehen werden soll, auf welchen also das Epigramm vom Anfange bis zum Ende arbeitet oder wenn es Epigramm für die Empfindung ist, das Moment seiner Energie, der letzte scharfgenommene Punct seiner Wirkung (ογκος.)

Aus diesem leichten und natürlichen Begrif, den die erste Idee eines darstellenden kurzen Gedichts selbst mit sich führet, läßt sich sogleich beurtheilen, wiefern ein’ oder die andre Gattung des Epigramms auch einen schärfern oder linderen Ausgang haben könne und haben werde: denn nicht jede Kunst arbeitet für ein gleiches scharfes

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_149.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)