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andre wollen stechen, nicht streicheln und salben. Was aber jedes Epigramm haben muß, ist lebendige Gegenwart und fortgehende Darstellung derselben, Energie auf den letzten Punct der Wirkung. Das schöne Kleistische Epigramm: z. B. Arria und Pätus verliert sogleich etwas von seiner Wirkung, da es nicht mit lebendiger Gegenwart auftritt, sondern aus alten Zeiten anhebt:

„Als Pätus auf Befehl des Kaisers sterben sollte.“

Der Ausgang ist hohes Epigramm; der Anfang eine versificirte Geschichte.

Endlich nimmt aus unsrer Erklärung das am meisten Aufschluß, was man die Pointe (acumen) des Epigramms nennt und meistens als ein tiefes Geheimniß behandelt hat. Aus dem Begrif der Aufschrift folget sie nicht: denn will jeder gestochen seyn, der eine Aufschrift lieset? leiden alle Gegenstände einen solchen Stachel? und wäre überhaupt der grobe Begrif eines Stichs der Sinn dieses Wortes und aller

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_148.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)