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in eine Stanze, in ein Sonnet oder Madrigal kleiden wollten. Nichts ist der Wirkung dieser leichten und losen Schaar von Einfällen mehr zuwider, als wenn sie langweilig vorgetragen werden: denn wer wird eine Alpenreise unternehmen, um den Schwärmer zu sehen, der einem Zuschauer leichtfertig vor die Stirn fährt? oder wer wird die Biene artig finden, die statt des Stachels mit einem Feuerhacken auf uns zukommt? Die griechischen Epigramme dieser Art sind also auch die kürzesten und leichsten und es ist angenehm wahrzunehmen, wie mancher Neuere griechischen Witz sagte, ohne daß er die Griechen kannte. Der wahre Witz nämlich ist überall derselbe; auch die Art, wie er am besten gesagt wird, wiederholt sich in allen Zeiten und unter allen Völkern. Da überdem ein großer Theil dieser Gattung die Narren und Thoren unsres Geschlechts angeht; so ists ja gut, daß diese in allen Jahrhunderten so ziemlich dieselben bleiben und das älteste sowohl als das neueste Epigramm ihnen denselben Helleborus bereitet.

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_138.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)