Seite:De Zerstreute Blätter II (Herder) 116.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

oder denjenigen, der ihn gesetzt hatte, nur mit einiger Empfindung nannte: so entstand unvermerkt hieraus eine schönere Exposition, die der Grund und gleichsam die Urform des griechischen Epigramms ist, ob sie gleich lange mit aller historischen Einfalt vorgetragen wurde. So sind die kleinen Epigramme, die man einer Sappho und Erinna, einer Myro, Noßis und Anyte, oder dem Anakreon, Simonides und andern alten Epigrammatisten zuschreibt: meistens nichts als eine simple Exposition des Gegenstandes. Den griechischen Grabschriften, den Weihgeschenken an die Götter, ja allen andern Gelegenheiten, wo das Denkmal selbst gleichsam zu reden hatte, blieb diese Form noch bis auf späte Zeiten eigen, so daß ich das Epigramm, das eine bloße Exposition enthält, die Urform des griechischen Epigramms zu nennen wage. Ueber Geschmack und Gefühl läßt sich nicht streiten; ich bekenne aber, daß manche dieser simpeln Expositionen für mich viel mehr Hohes, Ruhrendes und Reizendes

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_116.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)