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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

stürzte der Buchhändler Kaper in das Zimmer. „Wo ist er?“ rief er erhitzt und atemlos; „wo ist der große und unvergleichliche Hüon, unser Scott, unser letzter Ritter! Wo ist Blüte und Kern unserer Literatur? Ich meine den Herrn Referendär von Palvi, der hier logiert, wenn ich nicht irre“, setzte er hinzu, als er den Gesuchten nicht im Zimmer fand.

„Er ist verreist“, antwortete der Alte.

„Himmel! komme ich zu spät?“ fuhr Kaper fort; „wissen Sie nicht, hat Hüon schon einen Verleger zum nächsten Historischen? Daß wir es erst heute erfahren müssen – Ei! ei! gratuliere, Herr Stallmeister, zu meiner schönen Nachbarin – aber wer hätte das gedacht, daß wir den göttlichen Hüon in den eigenen Mauern hätten, daß es dieser Herr von Palvi wäre!“

„Wie“, rief der Stallmeister, indem er den Alten staunend anblickte. – „Er wäre Hüon?“

„Da steht’s, da steht’s gedruckt im ‚Konversationsblatt‘“[1], schrie der Buchhändler, seine Zeitung dem jungen Rempen überreichend.

„Hüon“, sagte der Alte, „er war Hüon. Wohl hat er den Ungläubigen die Backenzähne ausgezogen, und vergebens kämpften sie gegen meinen edlen, jugendlichen Paladin; aber sein Geschick wollte, er sollte Hüon ohne Rezia[2] sein!“

Noch einmal öffnete sich die Türe und spie, wie das Tor im Löwengarten des König Franz[3], zwei Leoparden auf einmal aus. Es waren der Hofrat und der dramatische Professor, die hereinstürzten. „Wo ist er?“ riefen sie; „vergessen sei alle Fehde! wir hatten ja einen ganz andern im Verdacht, der Autor dieses Romans zu sein; darum, gewiß nur darum haben wir ihn gehauen. Ins Freitagskränzchen soll er kommen, Mitarbeiter soll er werden am ‚Belletristischen Vergnügen‘! Den Zundler soll er uns ersetzen, der treffliche Hüon.“ So schrien sie durcheinander; aber mit Hohn und Verachtung blickte sie der Alte an. „Ihr findet ihn nicht mehr“, sagte er. „Er ist hinweg für immer.“

[441] „Hat er etwa einen Ruf bekommen?“ rief der Professor.

„Ha!“ rief ihm der Hofrat nach, „das ist ja wohl Zundlers rätselhafter Magister. Herrlicher Fund! wir zahlen zehn Taler per Bogen, Wertgeschätzter; arbeiten Sie mit an unserem Blatt, was Sie wollen; Gedichte, Novellen, Rezensionen, Kunstgefühle, wir nehmen alles auf!“

„Zurück!“ entgegnete der alte Mann mit mehr Hoheit, als ihm Rempen zugetraut hatte; „ich habe einen Freund verloren, eine große, schöne Seele, und bin nicht gesonnen, ihn mit euch und euren Talern zu ersetzen. Dort am Boden liegen Palvis Papiere – teilt euch unter seinen poetischen Nachlaß.“

Er sprach es, nahm den Stallmeister unter dem Arm und verließ mit ihm langsam das Zimmer. Kaper, der Hofrat und der Professor stürzten wie Drachen auf den Boden und über die Papiere her, und mitten in seinem Kummer mußte der Stallmeister lächeln, als ihm der Alte auf der Treppe entdeckte, jene werden nur Fragmente von juristischen Relationen und unbedeutende Kriminalakten finden. Als aber der Alte an der Türe des Hauses, mühsam und auf seinen Stab gestützt, an den Häusern herschleichen wollte, ergriff Rempen seinen Arm von neuem und führte ihn trotz seiner Widerrede bis zu seiner Wohnung. Dort setzte sich der Magister auf einen Stein, um Kräfte zu gewinnen, denn sein Stübchen lag fünf Stockwerke hoch.


Elise saß zu derselben Stunde vor der Toilette. Gedankenvoll sah sie vor sich hin, indem das Kammermädchen ihre Haare ordnete. Vielleicht hatte der tägliche Anblick dieser Zofe den Stachel entheiligter Liebe nur immer noch tiefer in das Herz gedrückt; und dennoch vermochte sie es nicht über sich, dieses Mädchen wegzuschicken; es war der Stolz einer erhabenen Seele, was sie von diesem Schritt abhielt, der vielleicht auch von ihren Eltern getadelt worden wäre, denn das Mädchen diente treu und geschickt. Doch so tief diese Wunde sein mochte, Elise suchte in diesem Augenblick ihren Schmerz zu übertäuben. Wenn nach den Gesetzen der Natur das Wesen in uns zu derselben Zeit verschiedentlich beschäftigt sein könnte, wenn es möglich wäre, in dem nämlichen Moment in dem Herzen so ganz anders zu fühlen,


  1. Gemeint ist wohl das „Berliner Konversationsblatt für Poesie, Literatur und Kritik“, das von 1827–29, von Fr. Förster und W. Häring redigiert, in Berlin erschien.
  2. Die Geliebte und spätere Gemahlin Hüons in Wielands „Oberon“.
  3. Vgl. Schillers „Handschuh“.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 440–441. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_221.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)