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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

er sich kaum noch auf hoher See glaubte oder wenigstens von Klippen träumte, an welchen seine Hoffnung auf immer scheitern konnte. Am Morgen jenes festlichen Tages, der zu seiner Verlobung angesetzt war, brachte ein Knabe einen Brief; die Hand, die ihn überschrieben, war ihm unbekannt. Er öffnete und fand den Namen des Magister Bunker unterzeichnet. So unangenehm auch die Erinnerungen sein mochten, mit welchen dieser Name in Verbindung stand, so machte doch das Andenken an diesen alten Mann und die wenigen rührenden Worte des Briefes tiefen Eindruck auf ihn; er bat, der Stallmeister möchte dem Knaben zu ihm folgen; er habe ihm notwendig etwas zu eröffnen und sei selbst zu schwach und angegriffen, als daß er über die Straße gehen könnte. Rempen fürchtete anfangs ein Zusammentreffen mit Palvi. Als aber der Knabe auf seine Frage, ob Herr von Palvi bei dem Alten sei, antwortete: „Ach nein! der ist schnell ganz weggereist und kommt nimmer wieder, und der alte Herr Magister hat geweint wie ein Kind“, so nahm er eilends seinen Hut und folgte.

Der Knabe führte ihn durch mehrere Seitenstraßen in einen abgelegenen Teil der Stadt, wo arme Leute und Handwerker wohnten, bis vor ein kleines, aber reinliches Haus. Dort stieg er eine Treppe hinan und öffnete dem Stallmeister eine Türe. Es war ein Zimmer voll Verwirrung und Unordnung, in das sie traten. Papiere und Bücher lagen am Boden zerstreut, und die Trümmer einer Guitarre mischten sich mit ausgeleerten Flaschen und alten Schuhen. Auf den Stühlen lagen Kleidungsstücke, auf dem schlechten Kanapee aber saß, den Kopf in die Hand gestützt, ein Mann, in welchem Rempen den Alten erkannte. Beim Geräusch, das ihr Eintreten verursachte, wandte er den Kopf um und hatte Tränen in den alten Augen.

„Vergeben Sie mir!“ sagte er, indem er mit Mühe sich aufraffte. „Meine Füße trugen mich nicht mehr zu Ihnen, und meine Hand zittert – ich mußte meine Botschaft mündlich geben.“

„Was ist vorgegangen!“ rief der junge Mann bestürzt. „Sie sind krank, Sie weinen, um wen? und von wem eine so feierliche Botschaft?“

Der Alte trocknete sich die Augen. „Er hat viel auf Sie gehalten“, [439] sprach er, „noch gestern und vorgestern hat er immer von Ihnen gesprochen und innig bedauert, daß er Sie so spät erst kennen gelernt hat. Sie hätten können herzliche Freunde werden, denn Sie sind keiner von den schuftigen Gesellen, die er verabscheute.“

„Mein Gott, Sie sprechen von Palvi? wo ist er?“

„Möge ihn ein gütiger Arm vor den Wellen des Flusses bewahrt haben!“ erwiderte der Alte sehr ernst; „doch, nicht wahr, junger Mann, es gehört größere Kraft dazu, einen Kummer zu tragen, als sich von ihm zerbrechen zu lassen? nicht wahr? ich glaube es wenigstens, und er ist eine kräftige Seele, er kann nicht zum Selbstmörder werden.“

Rempen verhüllte sein Gesicht, er konnte den tiefen Gram des Alten nicht länger sehen. Aber dieser zog ihm ängstlich die Hand von den Augen. „O lesen Sie doch“, sagte er; „lesen Sie genau, prüfen Sie jedes Wort, nicht wahr, es steht nichts darin, daß er sich töten wolle?“

Rempen nahm das Blatt; es war in wenigen Worten ein kurzer, aber ergreifender Abschied an den Alten. Er müsse ihn und diese Stadt verlassen, schrieb er. Als Grund gab er nur flüchtig sein unglückliches Verhältnis zu Elisen an, von welchem der Alte völlig unterrichtet schien.

Rempen suchte den Alten zu trösten; es sei so natürlich, sagte er, daß Palvi sich zerstreuen wolle, daß er vielleicht nur eine kleine Reise mache.

Aber der Alte schüttelte mit bitterem Lächeln den Kopf. „Er kommt nicht wieder; und ach! ich habe keine Freude und keinen Freund mehr! Er hat alle seine kleinen Rechnungen bezahlt, und mir“, setzte er weinend hinzu, „mir hat er seine Bücher und alles hinterlassen. – Doch mein Auftrag; Sie sehen, wie sehr er Sie schätzte, hier ist ein Paket mit Büchern an Sie, die Adresse schrieb er noch heute morgen, und in einem kleinen Zettelchen, das er darauf gelegt hat, bittet er mich, Sie bei allem, was heilig ist, zu versichern, daß er kein schlechter Mensch gewesen sei, daß er Sie liebe und in Ihrem Glück sein eigenes finde.“

Indem der Magister noch diese Worte sprach, hörte man ein Geräusch auf der Treppe, eilende Schritte nahten dem Zimmer, die Türe ging auf, und, ein Zeitungsblatt in der Hand,

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 438–439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_220.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)