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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

zu tief über die freche Stirne erbittert, womit dieser Mensch mich und sie alle hinterging. Doch hören Sie von dem wunderlichen Mann, der ihm alles dichtete.“

Man setzte sich schweigend, und Rempen erzählte; während seiner Erzählung schlich sich der Redakteur der ‚Blätter für belletristisches Vergnügen‘ aus dem Saal, ihm folgten seine Genossen, beschämt und ergrimmt über sich, den Doktor und die ganze Welt. Der Gesellschaft aber gereichte die Erzählung des Stallmeisters zu nicht geringem Vergnügen. Die gute Stimmung war wiederhergestellt, der Punsch, den der alte Rempen als Nachsatz von gestern gab, löste die Zungen, man fühlte sich weniger beengt, seit die öffentlichen Schiedsrichter hinweggegangen waren, man sprach allgemein das Lob des vorgelesenen Romans aus. Auch die Toasts wurden nicht vergessen, und als Julius von Rempen die Gesundheit aller wahrhaften Dichter und ihrer gründlichen Kritiker ausgebracht hatte, wagte es Elise mit glänzenden Augen, aber tief errötenden Wangen, die Gesellschaft aufzufordern, auf das Wohl des neuen Hüon und „Der letzten Ritter von Marienburg“ zu trinken.


Elise hatte dem Stallmeister, als er beim Nachhausefahren neben dem Wagen ritt, erlaubt, sie den andern Tag zu besuchen; er kam, er fand sie allein und gütiger gegen ihn gesinnt als je. Sie neckte ihn über seine Eingriffe in die literarische Welt und riet ihm, nie etwas drucken zu lassen; denn er habe alle Rezensenten gegen sich aufgebracht.

„Und sind denn nicht auch Sie mir einige Minuten gram gewesen“, fragte er lächelnd, „weil es einer Ihrer Freier war, den ich entlarvte?“

„Einer meiner Freier?“ fragte sie hocherrötend. „Zundler? Sie irren sich.“

„O, Sie schenkten ihm oft ein geneigtes Ohr“, fuhr er fort, „verabschiedeten mich oft mitten im Gespräch, um auf die Worte dieses großen Dichters zu lauschen!“

„Gewiß nicht, Rempen!“ antwortete sie verlegen. „Und einer meiner Freier, sagten Sie? als ob ich deren viele hätte!“

„Ich kenne wenigstens einige“, erwiderte er mit lauerndem Blick.

[435] „Und wen?“

„Zum Beispiel Palvi.“

„Palvi!“ rief sie erbleichend. „Was wollen Sie mit Palvi? Ich kenne ihn nicht.“

„Elise“, erwiderte der Stallmeister sehr ernst, „Sie kennen ihn. Der Zufall ließ mich vorgestern hören, daß Sie ihm selbst sagten, wie gut Sie ihn kennen. Sie lieben ihn.“

„Nimmermehr!“ rief sie mit glühendem Gesicht. „Er ist ein Abscheulicher! Glauben Sie, ich werde einen Elenden lieben, der – mein Kammermädchen anbetet?“

„Elise! Palvi?“

„Ja, ich gestehe es“, flüsterte sie, in Tränen ausbrechend, „Ihnen gestehe ich es, es gab eine Zeit, wo ich für diesen Menschen alles hätte tun können. Ich kannte ihn noch aus meiner Kindheit und auch später, er war mir wert. Aber hören Sie: Schon oft hatte mir mein eingebildetes Kammermädchen von einem schönen Herrn erzählt, der sie immer anrede, ihr von Liebe vorschwatze, und dem sie recht herzlich zugetan sei. Eines Tages stand sie dort am Fenster; auf einmal schlägt sie die Hände zusammen vor Freude, bittet mich, ans Fenster zu treten und ruft: ‚Sehen Sie, der dort in der Türe des Buchladens steht, der ist der schöne Herr.‘ Sie macht mir Platz, ich trete arglos hin, und aus dem Laden tritt in diesem Augenblick –“

„Wie, doch nicht Palvi?“ rief der Stallmeister, ergrimmt über das schlechte Betragen eines Mannes, den er geachtet hatte.

„Er selbst“, flüsterte Elise und drückte ihre weinenden Augen in ihr Tuch.

Der Stallmeister überließ das unglückliche Mädchen einige Minuten der Erinnerung an einen tiefen Kummer, hatte er ja doch selbst diese Pause nötig, um sich zu sammeln. Liebe, Mitleiden, so viele andere Empfindungen stürmten auf ihn ein, rissen ihn hin, Elisens Hand zu ergreifen und sie an seine brennenden Lippen zu ziehen. Erschreckt, überrascht blickte sie ihn an; doch schien ein günstiges Gefühl für ihn ihren strafenden Blick zu mildern.

„Und darf ein Mann“, sprach er bewegt, „zu Ihnen von Liebe reden, nachdem Sie so Bitteres von uns erfahren? Darf er sagen, er würde treu sein bis in den Tod, wenn Sie ihm

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 434–435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_218.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)