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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

wie sicher läßt sich diese Form von jedem handhaben! Nehmen Sie irgend einen Lappen der Welthistorie, zerreißen ihn in kleine Fetzen und kleiden die hergebrachten Personen von A bis Z darein, so haben sie einen historischen Roman. Die weitere Entwickelung ist leicht, besonders wenn man es sich so leicht macht wie dieser Hüon, und nur genugsam Floskeln eingestreut sind; wenn das Tränentuch häufig als Panier aufgepflanzt wird, so kann der Eindruck nicht verfehlt werden.“

„Und doch deucht mir“, erwiderte Palvi, „es ist bei weitem schwerer, einen Roman zu dichten, der den Forderungen einer wahren, vernünftigen und billigen Kritik entspricht, als ein Drama zu schreiben.“

„Und was nennen Sie denn eine vernünftige und billige Kritik, Herr Referendarius?“ fragte Doktor Zundler mit ungemein klugem und spöttischem Gesicht.

„Man muß ein Buch“, erwiderte Palvi mit großer Ruhe, „man muß besonders ein Gedicht zuerst nach den Empfindungen beurteilen, die es in uns hervorruft; denn auf Gefühl ist ja ein solches Werk berechnet; es soll angenehm unterhalten, durch den Wechsel freudiger und wehmütiger Szenen befriedigen. Und dann erst, wenn unser Herz darüber entschieden hat, daß das Buch ein solches sei, das unsere Gefühle erhoben, befriedigt hat, dann erst erlaube man dem Verstand, sein Urteil darüber zu fällen, und ihm bleibt es übrig, nachzuweisen, was in Anordnung oder Stil gefehlt ist.“

„Da müßte man am Ende alle Herzen abstimmen lassen“, sagte der Rat mitleidig lächelnd, „müßte umherfragen: hat’s gefallen oder nicht? ehe man ein öffentliches Urteil fällt. Aber dem ist nicht so; unsere Journale waren es von jeher, denen zu loben oder zu verdammen zustand, und der gebildete, geläuterte Geschmack ist es, der dort richtet.“

„Überhaupt dächte ich“, setzte Doktor Zundler mit zärtlichem Seitenblick auf Elisen hinzu, „man kann über Dinge dieser Art in Gesellschaft eine gebildete Dame mit Vergnügen hören, wie schon Goethe im ‚Tasso‘ sagt, aber ein öffentliches Urteil müssen nur Leute vom Fach fällen, und nur Leute vom Fach können dagegen opponieren.“

[433] „Und halten Sie sich etwa für einen Mann vom Fach?“ fragte Palvi mit großem Nachdruck.

Der Doktor verbarg seinen Unmut über diese Frage nur mühsam hinter einem lächelnden Gesicht. „Ich denke, die Welt zählt mich zu Deutschlands Dichtern“, sagte er.

„Die Welt“, antwortete der Referendär, „die betrogene Welt, aber nicht ich; so wenig als ich meinen Dekopisten für ein Genie halte.“

Die Gesellschaft fiel aus ihrer Spannung in eine sonderbare Bewegung. Die Damen sahen unmutig auf Palvi, ein Teil der Männer lachte über des Doktors auffallenden Mangel an Fassung, ein anderer Teil mißbilligte laut solche Reden in einer guten Gesellschaft.

„Herr von Palvi“, rief endlich Zundler bebend, man wußte nicht, ob vor Wut oder Schrecken, „wie soll ich Ihre sonderbaren Reden verstehen?“

„Ja, ja, Doktor“, sagte der Stallmeister laut lachend, „auch mit meiner Bewunderung hat es ein Ende; man sagt, Sie haben sich Ihre Gedichte und sonstigen schönen Sachen machen lassen.“

„Machen lassen?“ fragte der Chorus der Literatoren mit Bestürzung.

„Hat sie machen lassen?“ rief die Gesellschaft.

„Wer wagt, dies zu sagen?“ schrie der Doktor, indem er bleich und atemlos aufsprang.

„Nun, leider derjenige selbst, der sie Ihnen verfertigt hat“, antwortete Rempen mit großer Ruhe, „der Magister Bunker; er logiert oben in Ihrem Hause.“

Der entlarvte Dichter versuchte noch einige Worte zu sprechen; er war anzusehen wie der Kopf eines Enthaupteten; die Augen drehen sich noch, die Lippen scheinen Worte zu sprechen, aber der Geist ist entflohen, der diesen Organen Leben gab. Eilig drängte er sich dann durch den Kreis, stürzte nach seinem Hut und verließ den Saal und die vor Verwunderung verstummte Gesellschaft.

„Ist es denn wahr?“ sprach endlich die von Angst und Sorge erbleichte Elise, indem sie den Stallmeister sehr ernst ansah.

„Gewiß, mein Fräulein!“ erwiderte dieser lächelnd; „ich würde der Gesellschaft diese Szene erspart haben, aber ich war

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 432–433. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_217.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)