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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Der schöne Frühlingstag und die Furcht, für ungebildet zu gelten, wenigstens durch ihr Nichterscheinen geringes Interesse an der schönen Literatur zu verraten, vereinigte den größten Teil des Rempenschen Klubs in dem Gartensaal, den man zum Sammelplatz bestimmt hatte. Der junge Rempen war zu Pferd herausgekommen, geraume Zeit vor den übrigen Gästen; gedankenvoll setzte er sich auf den Altan des Hauses und schaute in den Fluß hinab. Wie so gern hätte er sich schon heute am frühen Morgen Gewißheit verschafft, warum Elise so plötzlich mit Palvi gebrochen, auf eine Weise gebrochen, die notwendig, er gestand es sich mit Schmerz, auf den Charakter des jungen Mannes einen düstern Schatten werfen mußte. Oft verwünschte er den gestrigen Tag und daß er diesen Menschen kennen gelernt habe, nur um ihn heute unaussprechlich zu achten und vielleicht morgen zu verlieren, zu – bedauern; denn verachten? nein, es konnte keinen Fall geben, der ihm diesen Mann hätte verächtlich machen können. War es denn möglich, daß eine so großartige Seele etwas Gemeinem, Niedrigem sich hingeben konnte? „Er ist arm“, sagte der gutmütige Rempen zu sich, „er muß dürftig sein, denn seine Stelle kann ihn nicht ernähren; vielleicht hat er wieder Schulden gemacht, sie hat es erfahren und deutet als Leichtsinn, was vielleicht Not ist? Aber kann, selbst wenn es Leichtsinn wäre, dieser den Geliebten in ihren Augen verächtlich, elend machen?“ Wie ergrimmte er in seiner Gedankenfolge über jene Schranken, welche das Herkommen und die „gute Sitte“ um vornehme Häuser und ihre Töchter gezogen, wie unnatürlich erschien es ihm, daß der Geliebte die Zürnende nicht in ihrem Hause, auf dem Wege, überall befragen, vielleicht versöhnen konnte, daß vielleicht ein kleines, aber sichtbares Ausweichen, eine scharfe und laut ausgesprochene Rede dazu gehörte, ihn, nach den Sitten der Gesellschaft, auf immer von sich zu entfernen! „Oder wie? Sollte sie ihn vielleicht nie geliebt haben?“ setzte er getrösteter hinzu. – „Es wäre möglich, daß ihm diese Gewißheit weniger schmerzlich wäre als ihr Haß; aber – darf sie ihn deswegen hassen?“

Ein großer Zug von Damen und Herren hatte während dieser Gedanken des jungen Rempen den Berg erstiegen und war jetzt in den Gartensaal getreten.

[427] Noch fehlte Elise; aber man konnte nun um so ungezwungener ihren Geschmack und ihre Belesenheit bewundern. Auch Palvi wurde gebührendes Lob gespendet; man hatte selten mit dieser Gewandtheit, mit diesem Ausdruck etwas vorlesen gehört; und die Bewunderung stieg, als man sich sagte, daß er wahrscheinlich diesen Roman nicht zuvor gelesen habe. Elise kam mit Onkel und Tante Rempen angefahren, und Julius vergaß so ganz seine vorigen Gedanken, seine Vorsätze, daß er vor Freude errötend herbeisprang, sie aus dem Wagen zu heben, daß er halb unbewußt ihre Hand drückte, und dies erst erkannte, als er diesen Druck erwidert fühlte. Alle jene düstern Bilder, die auf dem Altan vor seiner Seele vorübergezogen, verschwanden vor dem Glanz ihrer Schönheit. Er hatte sie nie so reizend, so wundervoll gesehen, wenigstens so huldreich war sie nie gegen ihn gewesen. Den Grund davon gestand ihm in einer Ecke des Saals die Tante. Er hatte den Zirkel gestern abend so bald verlassen, daß Elise glaubte, sie habe ihn gekränkt. Dieser Gedanke erfüllte ihn jetzt so ganz, daß er in ihre Nähe eilte, daß er mit ihr sprach und scherzte und erst durch die wiederholte Mahnung seines Onkels darauf aufmerksam gemacht werden konnte, daß die Gesellschaft sich bereits im Kreise gesetzt habe und die Erzählung des Fräuleins Wilkow erwarte.

„Mein Unfall“, sprach sie mit leichtem Erröten, „hat mich gestern, wenn ich nicht irre, gerade bei der Zusammenkunft der Ritter mit dem Fräulein getroffen. Des Fräuleins Vater, der nicht nur von außen, sondern auch im Inneren dem Bund durch Zwischenträgerei und Uneinigkeit zu schaden sucht, hat überall Spione. Erwünscht ist ihm, daß ihm einer die Anzeige von jenem nächtlichen Rendezvous macht. Er denkt keinen Augenblick daran, daß es seine Tochter sein könnte, sondern schleicht sich mit Knechten in jene Ruinen und überfällt zuerst den Freund; die Dame und ihre Amme, die immer zugegen war, entfliehen; es kommt zum Gefecht, die Knechte werden in die Flucht geschlagen, und auch der Alte zieht sich zurück, doch nicht, ohne sich vorher mit einem Zeichen von seinem Gegner versehen zu haben.

Den andern Tag versammelt der Großmeister ein Kapitel. Er entdeckt den Rittern diesen Vorfall und beschwört die Schuldigen,

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 426–427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_214.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)