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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

habe ich viel getan, um auf einigen Ruhm Anspruch machen zu können? Aber was für andere Männer finden sich hier! Sind es nicht – die schönsten Zierden der Nation? So jung Sie sind, Professor, sind denn nicht alle Blätter voll Ihres Lobes wegen Ihrer Trauerspiele, und unser Rat –“

„Aber büßen sollen sie es mir, büßen“, rief der letztere, „so wahr ich lebe, und, Zundler, Sie müssen mithelfen und alle, die ins Freitagskränzchen kommen. Hab’ ich es mir darum sauer werden lassen zwanzig Jahre lang, daß man jetzt über mich herfällt, und wegen nichts als wegen der Rezension über den dummen Roman ‚Die letzten Ritter von Marienburg‘, sonst wegen nichts!“

„Die letzten Ritter von Marienburg“, fragte der Buchhändler, der als Mann vom Fache mitsprechen zu müssen glaubte; „mich gehorsamst zu empfehlen, Herr Rat; aber ist es nicht bei Wenz in Leipzig erschienen, drei Bände Oktav, Preis vier Taler netto?“

„Und ich will nun einmal diese Schule nicht aufkommen lassen“, fuhr der Erboste fort, ohne auf Herrn Kaper zu hören; „woher kömmt es, daß man keine Verse mehr lesen will, daß man die Lyrik verachtet, sei sie auch noch so duftig und gefeilt, daß man über die tiefsinnigsten Sonette weggeht wie über Lückenbüßer, woher als von diesen Neuerungen?“

„Aber so zeigen Sie doch, ich bitte“, flüsterte der Doktor, das zerknitterte Papier fassend; „ist es denn wirklich so arg, so niederschlagend?“

„Lesen Sie immer“, erwiderte der Rat gefaßter, „lesen Sie meinetwegen laut, es ist doch in jedermanns Händen; die Herren sind ja ohnedies Zeugen meines Schmerzens gewesen und mögen auch Zeugen sein, wie man Redakteur und Mitarbeiter eines der gelesensten Blätter behandelt!“

„Der junge Mann entrollte das Blatt. „Wie? In den ‚Blättern für literarische Unterhaltung‘?[1] Nein, das hätte ich mir nicht träumen lassen; die waren ja sonst immer so nachbarlich, [389] so freundlich mit uns! Ist es die Kritik, die anfängt ‚Ehe wir noch dieses Buch –‘“

„Eben diese, nur zu!“

„Die letzten Ritter von Marienburg, historischer Roman von Hüon. 3 Bände. Leipzig. Fr. Wenz.

„Ehe wir noch dieses Buch in die Hände bekamen, lasen wir in den ‚Blättern für belletristisches Vergnügen‘[2] eine Kritik, welche uns beinahe den Mut benahm, diesen dreibändigen historischen Roman nur zu durchblättern. Man kann zwar gewöhnlich auf das Urteil dieser Blätter nicht viel halten. Es sind so wenige Männer von Gehalt dabei beschäftigt, daß der wissenschaftlich Gebildete von diesen Urteilen sich nie bestimmen lassen kann; doch machte diese Kritik eine Ausnahme. Es ist nämlich eine Seltenheit, daß die ‚Blätter für belletristisches Vergnügen‘ etwas durchaus tadeln; selten ist ihnen etwas schlecht genug; aber diesmal hieben sie so unbarmherzig und greulich hinein, daß wir im ersten Augenblick, auf die kritische Ehrlichkeit solcher Leute trauend, glaubten, dieser Roman müsse die tiefste Saite der Schlechtigkeit berührt haben. Doch zu einer guten Stunde entschlossen wir uns, nachzusehen, wie tief man es in der deutschen Literatur dermalen gebracht habe. Wir lasen. Aber welch ein Geist wehte uns aus diesen Blättern an! Welch mächtiges, erhabenes Gebäude stieg vor unseren Blicken auf, ein Gebäude in so hohem, erhabenem Stil, wie die Marienburg selbst; wir fühlten uns fortgerissen, versetzt in ihre Hallen; der letzte Großkomtur[3] und seine Ritter traten uns lebend entgegen, und noch einmal ertönte jene alte Feste vom Waffenspiel und den kräftigen Stimmen ihrer tapfern Bewohner. Wir wollen den Dichter nicht tadeln, daß ein Hauch von Melancholie über seinem Gemälde schwebt, der keine laute Freude, kein behagliches Vergnügen gestattet. Wo ein so großartiges Schicksal waltet, wo ein ganzes, großes Geschlecht untergeht, da muß ja wohl auch die


  1. Berühmte literarisch-kritische Zeitschrift, die 1820–98 im Verlage von F. A. Brockhaus in Leipzig erschien, bis 1826 zunächst unter dem Titel „Literarisches Konversationsblatt“.
  2. Hauff hat hier zweifellos ein bestimmtes Literaturblatt im Auge, worin die Gegner des historischen Romans zu Worte kamen, vielleicht auch sein „Lichtenstein“ angegriffen worden war. Er bildet den Titel dieser Zeitschrift unter scherzhafter Anlehnung an den vorher genannten.
  3. Mit der Bezeichnung Großkomtur meint Hauff hier wohl die oberste Würde des Ritterordens, die des Hoch- oder Deutschmeisters.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 388–389. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_195.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)