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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

in so erwünschtem Wohlbefinden zu sehen.“ Am dritten Tag konnte er seine Lektion schon ganz ohne Zittern sagen, daher legte er sich noch Schwereres auf. Er wollte recht artig und unbefangen sein und ihr einen Teller mit Bonbons und Punsch offerieren. Er übte sich mit einem Glas Wasser, das er auf einen Teller setzte. Von Anfang klirrte es schrecklich in seiner zitternden Hand; aber auch diese Schwachheit überwand er, ja er konnte ganz lustig dazu sagen: „Verehrte, beliebt Ihnen nicht etwas weniges Punsch und etliche Bonbons?“ Es ging trefflich; kein Sterblicher sollte ihn beben sehen. Ali Pascha von Janina fühlte Mut in sich, trotz seiner Angst vor der Angst, auf die Redoute zu gehen.

Der Medizinalrat Lange hatte es sich nicht nehmen lassen, die Genesene zum erstenmal wieder unter die Leute zu führen. Sie hatte es ihm gerne zugesagt; hatte er doch durch seine treue Pflege, durch die väterliche Sorgfalt, womit er sich ihrer angenommen, ein Recht auf ihre wärmste Dankbarkeit gewonnen. So kam er mit ihr auf die Redoute, und er schien sich nicht wenig auf den Platz an der Seite des schönen, interessanten Mädchens zu gut zu tun. Die Leute in B. sind ein sonderbares Volk. In den ersten Tagen hatte man von den nobelsten Salons bis hinab in die Bierschenken von der Sängerin Übles gesprochen, als aber Männer von Gewicht sich ihrer annahmen, als angesehene Damen sich öffentlich für sie erklärten, drehte sich die Fahne nach dem Wind, und die B… liefen, gerührt über das Schicksal des armen Kindes, in den Straßen umher und starben bald vor Entzücken, daß sie genesen. Als sie in den Saal der Redoute trat, schien alles nur auf sie, als die Königin des Festes, gewartet zu haben; man jubelte und jauchzte, man klatschte in die Hände und rief bravo! als hätte sie eben die schwersten Rouladen zu stande gebracht. Auch dem Medizinalrat fiel sein Anteil am Beifall zu: „Sehet, der ist’s“, riefen sie, „das ist ein geschickter Mann, der hat sie gerettet.“

Die Sängerin fühlte sich freudig bewegt von diesem Beifall der Menge; ja sie hätte, berauscht von dem Gemurmel der Glückwünschenden, beinahe vergessen, daß sie noch ein ernsterer Zweck in diesen Saal geführt habe; aber die vier handfesten Dominos, [369] die ihren Schritten folgten, die Fragen des Doktors, ob sie die grauen Augen des Chevaliers noch nicht ansichtig geworden, erinnerten sie immer wieder an ihr Vorhaben. Ihr selbst und dem Doktor war es nicht entgangen, daß ein langer, hagerer Türke (man hieß in B. sein Kostüm den Ali Bassa) sich immer in ihre Nähe dränge, und so oft der Strom der Masken ihn wegriß, immer war er ihnen wieder zur Seite. Die Sängerin stieß den Doktor an und winkte mit den Augen nach dem Pascha hin. Er erwiderte ihren Wink und sagte: „Ich habe ihn schon lange bemerkt.“ Der Pascha näherte sich mit ungewissen Schritten, die Sängerin klammerte sich fester an Langes Arm; er war jetzt ganz nahe, starre, graue Äuglein guckten aus der Maske und eine hohle Stimme sprach zu ihr: „Es freut mich unendlich, wertgeschätzte Mamsell, Sie in so erwünschtem Wohlsein zu sehen.“ Die Sängerin wandte sich erschreckt ab und schien zu zittern; auch die Maske fuhr bei diesem Anblick bebend zurück und verschwand unter der Menge. „Ist er es?“ rief der Medizinalrat. „Fassen Sie sich doch; es gilt hier, ruhig und mit Umsicht zu handeln; glauben Sie, er ist es?“ – „Noch weiß ich es nicht gewiß“, entgegnete sie; „aber ich glaube seine Augen zu erkennen.“

Der Medizinalrat gab den vier Dominos die Weisung, recht genau auf diesen Pascha acht zu geben, und ging mit der Dame weiter. Aber kaum hatte er einige Gänge durch den Saal gemacht, so erschien der Türke wieder; doch hielt er sich mehr in der Entfernung, als beobachte er die Sängerin.

Der Doktor trat mit seiner Dame an ein Büfett, um ihr auf den gehabten Schrecken eine Tasse Tee zu verordnen; er sah sich um – auch hier wieder der Türke. Und siehe da, jetzt hatte er auf einem Tellerlein ein Glas Punsch und einige Bonbons; er nähert sich der Sängerin, seine Augen funkeln, das Glas hüpft und klappert in seltsamen Klängen auf dem zitternden Teller; er ist an ihrer Seite, er bietet ihr den Teller und sagt: „Verehrte, beliebt Ihnen nicht etwas weniges Punsch und etliche Bonbons?“ Die Sängerin sah ihn starr an, sie erbleichte, sie stieß den Teller zurück und rief: „Ha! der Schreckliche! Er ist’s, er ist’s, er will mich vergiften!“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 368–369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_185.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)