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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

der ersten Ranglogen ein fremder Graf gewesen sein; dieser will Sie erkannt und vor etwa zwei Jahren in Paris in einem schlechten Hause gesehen haben. – Aber, mein Gott, Sie werden immer blässer –“

„Es ist nichts, der Schein der Lampe fiel nur etwas matter herüber; weiter, weiter!“

„Nun, dieses Gerede blieb von Anfang nur in den ersten Zirkeln; nach und nach kam es aber ins Publikum, und da dieser Vorfall hinzukömmt, verbindet man beides und versetzt das frühere Verhältnis zu Ihrem Mörder in jenes berüchtigte Haus in Paris.“

Auf den ausdrucksvollen Zügen der Kranken hatte während dieser Rede die tiefste Blässe mit flammender Röte gewechselt. Sie hatte sich höher aufgerichtet, als solle ihr kein Wort dieser schrecklichen Kunde entgehen, ihr Auge haftete starr und brennend auf dem Mund des Arztes, sie atmete kaum, ihr Herz schien stillzustehen. „Jetzt ist’s aus“, rief sie mit einem schmerzlichen Blick zum Himmel, indem Tränen ihrem Auge entstürzten, „jetzt ist es aus, wenn er dies hörte, so war es zuviel für seine Eifersucht. Warum bin ich nicht gestern gestorben, ach! da hätte ich meinen guten Vater gehabt, und meine süße Mutter hätte mich getröstet über den Hohn dieser grausamen Menschen!“

Der Doktor staunte über diese rätselhaften Worte; er wollte eben ein tröstendes, besänftigendes Wort zu ihr sprechen, als die Türe mit Geräusch aufflog und ein großer, junger Mann hereinfuhr. Sein Gesicht war auffallend schön, aber ein wilder Trotz verfinsterte seine Züge, sein Auge rollte, sein Haar hing verwildert um die Stirne. Er hatte ein großes, zusammengerolltes Notenblatt in der Faust, mit welchem er in der Luft herumfuhr und gleichsam agierte, ehe er Atem zum Sprechen fand. Bei seinem Anblick schrie die Sängerin laut auf, der Doktor glaubte anfangs, aus Angst, aber es war Freude, denn ein holdes Lächeln zog um ihren Mund, ihr Auge glänzte ihm durch Tränen entgegen [WS 1]. „Carlo!“ rief sie, „Carlo! Endlich kommst du, nach mir zu sehen!“

„Elende!“ rief der junge Mann, indem er majestätisch den [343] Arm mit der langen Notenrolle nach ihr ausstreckte; „laß ab von deinem Sirenengesang, ich komme – dich zu richten!“

„O Carlo!“ unterbrach ihn die Sängerin, und ihre Töne klangen schmelzend und süß wie die Klänge der Flöte; „wie kannst du so zu deiner Giuseppa sprechen!“

Der junge Mann wollte mit tragischem Pathos antworten, aber der Doktor, dem dieser Auftritt für seine Kranke zu angreifend schien, warf sich dazwischen. „Wertester Herr Carlo“, sagte er, indem er ihm eine Prise bot, „belieben Sie zu bedenken, daß Mademoiselle in einem Zustand ist, wo solche Szenen allzusehr ihre schwachen Nerven affizieren!“

Jener schaute ihn groß an und wandte die Notenrolle gegen ihn. „Wer bist du, Erdenwurm?“ rief er mit tiefer, dröhnender Stimme; „wer bist du, daß du dich zwischen mich stellst und meinen Zorn?“

„Ich bin der Medizinalrat Lange“, entgegnete dieser und schlug die Dose zu, „und in meinen Titeln befindet sich nichts von einem Erdenwurme. Ich bin hier Herr und Meister, solange Signora krank ist, und ich sage Ihnen im guten, packen Sie sich hinaus, oder modulieren Sie Ihr Presto assai zu einem anständigen Larghetto.“[1]

„O, lassen Sie ihn doch, Doktor“, rief die Kranke ängstlich, „lassen Sie ihn doch, bringen Sie ihn nicht auf! Er ist mein Freund, Carlo wird mir nichts Böses tun, was ihm auch die schlechten Menschen wieder von mir gesagt haben.“

„Ha! Du wagst es noch, zu spotten! Aber wisse, ein Blitzstrahl hat die Tore deines Geheimnisses gesprengt und hat die Nacht erhellt, in welcher ich wandelte. Also darum sollte ich nicht wissen, was du warst, woher du kamst? darum verschlossest du mir den Mund mit deinen Küssen, wenn ich nach deinem Leben fragte? Ich Tor! daß ich von einer Weiberstimme mich bezaubern ließ und nicht bedachte, daß sie nur Trug und Lug ist! Nur im Gesang des Mannes wohnt Kraft und Wahrheit. Ciel! Wie konnte ich mich von den Rouladen einer Dirne betören lassen!“


  1. Presto assai, d. h. ziemlich schnell, und larghetto, d. h. mäßig langsam, aus dem Italienischen stammende musikalische Bezeichnungen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ententgegen
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 342–343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_172.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)