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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

freundschaftlich, daß er nach Amerika gehen werde. Der Kommerzienrat wünschte ihm Glück auf den Weg und begab sich nach B.

Der Gedanke an den Musiknarren, wie er seinen Sohn nannte, trübte ihm zwar manche Stunde, denn er hatte ihn ersucht, sich nie mehr vor ihm sehen zu lassen, und es stand nicht zu erwarten, daß dieser ungerufen wiederkehre; es wollte ihm zuweilen bedünken, als habe er doch töricht getan, als er ihn durchaus im Kommerz haben wollte; aber Zeit, Gesellschaft und heitere Laune ließen diese trüben Gedanken nicht lange aufkommen; er lebte in Jubel und Freude, und wer ihn recht heiter sehen wollte, durfte nur zwischen eilf Uhr und mittag durch die Breite Straße wandeln. Sah er dort einen langen, hagern Mann, dessen sehr moderne Kleidung, dessen Lorgnette und Reitpeitsche, dessen bewegliche Manieren nicht mehr recht zu seinen grauen Haaren passen wollten, sah er diesen Mann nach allen Seiten grüßen, alle Augenblicke bei diesen oder jenen stille stehen und schwatzen und mit den Armen fechten, so konnte er sich darauf verlassen, es war der Kommerzienrat Bolnau.

Aber heute war dies alles ganz anders. Hatte ihn schon zuvor die Ermordungsgeschichte der Sängerin fast zu sehr affiziert, so war ihm das letzte Wort des Doktors in die Glieder geschlagen. „Bolnau“, hatte die Bianetti noch gesagt, ehe sie vom Bewußtsein kam. Seinen eigenen ehrlichen Namen hatte sie unter so verfänglichen Umständen ausgesprochen! Seine Knie zitterten und wollten ihm die Dienste versagen, sein Haupt senkte sich auf die Brust sorgenvoll und gedankenschwer. „Bolnau!“ dachte er, „königlicher Kommerzienrat! wenn sie jetzt stürbe, die Sängerin, wenn das Mädchen dann ihr Geheimnis von sich gäbe und den Polizeidirektor mit den näheren Umständen des Mordes und mit dem verhängnisvollen Wort bekannt machte! Was könnte dann nicht ein geschickter Jurist aus einem einzigen Wort argumentieren, besonders wenn ihn die Eitelkeit anfeuert, in einer solchen Cause célèbre seinen Scharfsinn zu zeigen.“ Er lorgnettierte mit verzweiflungvoller Miene das Zuchthaus, dessen Giebel aus der Ferne ragte. „Dorthin, Bolnau! aus ganz besonderer Gnade und Rücksicht auf mehrjährige Dienste!“

Er atmete schwerer, er lüftete die Halsbinde, aber erschreckt [339] fuhr er zurück, war dies nicht der Ort, wo man das hänfene Halsband umknüpfte, war dies nicht die Stelle, wo das kalte Schwert durchging?

Begegnete ihm ein Bekannter und nickte ihm zu, so dachte er: „Holla, der weiß schon um die Sache und will mir zu verstehen geben, daß er wohl unterrichtet sei.“ Ging ein anderer vorüber, ohne zu grüßen, so schien ihm nichts gewisser, als daß man ihn nicht kennen wolle, sich nicht mit dem Umgang eines Mörders beflecken wolle. Es fehlte wenig, so glaubte er selbst, er seie schuldig am Mord, und es war kein Wunder, daß er einen großen Bogen machte, um das Polizeibureau zu vermeiden; denn konnte nicht der Direktor am Fenster stehen, ihn erblicken und heraufrufen? „Wertester, beliebt es nicht, ein wenig heraufzuspazieren, ich habe ein Wort mit Ihnen zu sprechen.“ Verspürt er nicht schon ein gewisses Zittern, fühlt er nicht jetzt schon seine Züge sich zu einem Armensündergesicht verziehen, nur weil man glauben könnte, er seie der, den die Sängerin mit ihrem letzten Worte angeklagt?

Und dann fiel ihm wieder ein, wie schädlich eine solche Gemütsbewegung für seine Konstitution seie; ängstlich suchte er nach Fensterscheiben, um sich ruhig zu zählen, aber die Häuser und Straßen tanzten um ihn her, der Glockenturm schien sich höhnisch vor ihm zu neigen, ein wahnsinniges Grauen erfaßte ihn, er rannte durch die Straßen, bis er erschöpft in seiner Behausung niedersank, und seine erste Frage war, als er wieder ein wenig zu sich gekommen, ob nicht ein Polizeidiener nach ihm gefragt habe?


Als gegen Abend der Medizinalrat Lange zu seiner Kranken kam, fand er sie um vieles besser, als er sich gedacht hatte. Er setzte sich an ihrem Bette nieder und besprach sich mit ihr über diesen unglücklichen Vorfall. Sie hatte ihren Arm auf die Kissen gestützt, in der zartgeformten Hand lag ihr schöner Kopf. Ihr Gesicht war noch sehr bleich, aber selbst die Erschöpfung ihrer Kräfte schien ihr einen eigentümlichen Reiz zu geben. Ihr dunkles Auge hatte nichts von jenem Feuer, jenem Ausdruck verloren, der den Doktor, obgleich er ein bedächtiger Mann und

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 338–339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_170.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)