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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

durch seinen Fall hart beschädigt sein mußte, denn man fand viel Blut unten an der Treppe, und es ist mir nicht unwahrscheinlich, daß er sich im Falle durch seinen eigenen Dolch verwundet hat. Es ist um so unbegreiflicher, wie er entkam, da die Haustüre verschlossen war. Die Bianetti selbst erwachte um zehn Uhr und gab dem Polizeidirektor zu Protokoll, daß sie im strengsten Sinne nicht wisse, auch nicht einmal ahne, wer die Maske sein könne. Alle Ärzte und Chirurgen sind verpflichtet, wenn sie zu einem Patienten, der durch einen Fall oder eine Messerwunde lädiert ist, solches anzuzeigen, weil man vielleicht auf diesem Wege dem Mörder auf die Spur kommen könnte. So stehen die Sachen. Ich bin aber überzeugt wie von meinem Leben, daß ein tiefes Geheimnis zu Grunde liegt, das die Sängerin nicht entdecken will; denn die Bianetti ist nicht die Person, die sich von einem ihr völlig unbekannten Mann nach Hause begleiten läßt. Das scheint auch ihr Mädchen, das beim Verhör zugegen war, zu ahnen. Denn als sie sah, daß Signora nichts wissen wolle, gab sie nichts von dem Wortwechsel an, den sie gehört hatte, mir aber warf sie einen bittenden Blick zu, sie nicht zu verraten. ‚Es ist eine entsetzliche Geschichte‘, sagte sie, als sie mich nachher zur Treppe begleitete, ‚aber keine Welt brächte mich dazu, etwas zu verraten, was Signora nicht bekannt werden lassen will.‘ Sie gestand mir noch etwas, das auf die ganze Sache vielleicht Licht verbreiten würde.“

„Nun, und darf ich diesen Umstand nicht auch wissen?“ fragte der Kommerzienrat. „Er sieht, wie ich gespannt bin; spann’ Er ab, spann’ Er ab, um Gottes willen, ich könnte sonst leicht meine Zufälle bekommen!“

„Höre Er, Bolnau, besinn’ Er sich, lebt noch ein Bolnau außer Ihm in dieser Stadt? Existiert noch irgend ein anderer in der Welt, und wo, sag’ Er, wo?“

„Außer mir keine Seele in dieser Stadt“, antwortete Bolnau; „als ich vor acht Jahren hieher zog, freute es mich, daß ich nicht Schwarz, Weiß oder Braun, nicht Meier, Müller oder Bauer heiße, weil damit allerlei unangenehme Verwechslungen geschehen. In Kassel war ich der einzige Mann in meiner Familie, und sonst gibt es auf Gottes Erdboden keinen Bolnau [337] mehr als meinen Sohn, den unglücklichen Musiknarren, der ist verschollen, seit er nach Amerika segelte. Aber warum fragt Er nach meinem Namen, Doktor?“

„Nun, Er kann es nicht sein, Kommerzienrat, und Sein Sohn ist in Amerika. Aber es ist schon Viertel über zwölf Uhr, Prinzeß Sophie ist krank, ich habe mich nur zu lang mit Euch verschwatzt; lebt wohl, à revoir!“

„Nicht von der Stelle“, rief Bolnau und hielt ihn fest am Arm, „saget mir zuvor, was das Mädchen noch gesagt hat.“

„Nun ja, aber reinen Mund gehalten, Bolnau! ihr letztes Wort, ehe sie in jene tiefe Ohnmacht sank, war Bolnau.“


Man hatte den Kommerzienrat Bolnau noch nie so ernst und düster schleichen sehen wie damals, als ihn der Doktor Lange vor dem Palais verließ. Sonst war er munter und rüstig einhergeschritten, und wenn er mit dem freundlichsten Lächeln alle Mädchen und Frauen grüßte, mit den Männern viel lachte und ihnen allerlei Neues erzählte, so hätte man ihm noch keine sechzig Jahre zugetraut. Er schien auch alle Ursache zu haben, fröhlich und guter Dinge zu sein; er hatte sich ein hübsches Vermögen zusammenspekuliert, hatte sich, als es genug schien, mit seiner Frau in B. zu Ruhe gesetzt und lebte nun in Freude und Jubel jahraus, jahrein. Er hatte einen einzigen Sohn gehabt, dieser sollte die Laufbahn des alten Herrn auch durchlaufen und handeln und sich umtun im Kommerz, so wollte er es haben.

Der Sohn aber lebte und webte nur im Reich der Töne, die Musik war ihm alles, der Handel und Kommerz des Vaters war ihm zu gemein und niedrig. Der Vater hatte einen harten Sinn, der Sohn auch, der Vater brauste leicht auf, der Sohn auch, der Vater stellte gleich alles auf die Spitze, der Sohn auch; kein Wunder, daß sie nicht miteinander leben konnten. Und als der Sohn sein zwanzigstes Jahr zurückgelegt hatte, war der Vater fünfzig, da brach er auf, sich zur Ruhe zu setzen, und wollte dem Sohn den Handel geben. Es war auch bald alles in Richtigkeit und Ruhe, denn in einer schönen Sommernacht war der Sohn nebst einigen Klavierauszügen verschwunden, kam auch richtig nach England und schrieb ganz

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 336–337. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_169.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)