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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„Er glaubt’s wieder nicht!“ rief der Spaziergänger; seht nur, er glaubt’s wieder nicht! Wenn ich gesagt hätte, der Kaiser von Marokko sei erstochen worden, so hättet Ihr die Nachricht mit Dank eingesteckt und weiter getragen, weil sich dort schon Ähnliches zugetragen hat. Aber wenn eine Sängerin hier in B. totgestochen wird, da will keiner glauben, bis man den Leichenzug sieht. Aber Freundchen, diesmal ist’s wahr, so wahr ich ein ehrlicher Mann bin.“

„Mensch! Bedenket, was Ihr sagt!“ rief der Freund mit Entsetzen. „Tot sagtet Ihr? Die Bianetti totgestochen?“

„Tot war sie vor einer Stunde noch nicht, aber sie liegt in den letzten Zügen, so viel ist gewiß.“

„Aber sprechet doch ums Himmels willen! Wie kann man denn eine Sängerin totstechen? Leben wir denn in Italien? Für was ist denn eine wohllöbliche Polizei da? Wie ging es denn zu? Totgestochen!“

„Schreiet doch nicht so mörderlich!“ erwiderte Bolnau besänftigend; „die Leute fahren schon mit den Köpfen aus allen Fenstern und schauen nach dem Straßenlärm. Ihr könnet ja sotta voce[1] jammern, soviel Ihr wollt. Wie es zuging? Ja, sehet, da liegt es eben; das weiß bis jetzt kein Mensch. Gestern nacht war das schöne Kind noch auf der Redoute, so liebenswürdig, so bezaubernd wie immer, und heute nacht um zwölf Uhr wird der Medizinalrat Lange aus dem Bette geholt, Signora Bianetti liege am Sterben; sie habe eine Stichwunde im Herzen. Die ganze Stadt spricht schon davon, aber natürlich das tollste Zeug. Es sind allerdings fatale Umstände dabei, daß man nicht ins reine kommen kann; so darf z. B. niemand ins Haus als der Arzt und die Leute, die sie bedienen. Auch bei Hof weiß man es schon, und es kam ein Befehl, daß die Wache nicht am Haus vorbeiziehen dürfe; das ganze Bataillon mußte den Umweg über den Markt nehmen.“

„Was Ihr sagt! Aber weiß man denn gar nicht, wie es zuging? Hat man denn gar keine Spur?“

„Es ist schwer, sich aus den verschiedenen Gerüchten auf das [331] Wahre durchzuarbeiten. Die Bianetti, daß muß man ihr lassen, ist eine sehr anständige Person, der man auch nicht das Geringste nachsagen kann. Nun, wie aber die Leute sind, besonders die Frauen, wenn man da von dem ordentlichen Lebenswandel des armen Mädchens spricht, zuckt man die Achsel und will von ihrem frühern Leben allerlei wissen. Von ihrem frühern Leben! Sie hat kaum siebzehn Jahre und ist schon anderthalb Jahre hier. Was ist das für ein früheres Leben!“

„Haltet Euch nicht so lange beim Eingange auf“, unterbrach ihn der Bekannte, „sondern kommt auf das Thema. Weiß man nicht, wer sie erstochen hat?“

„Nun, das sage ich ja eben; da soll es nun wieder ein abgewiesener oder eifersüchtiger Liebhaber sein, der sie umbrachte. Sonderbar sind allerdings die Umstände. Sie soll gestern auf der Redoute mit einer Maske, die niemand kannte, ziemlich lange allein gesprochen haben. Sie ging bald nachher weg, und einige Leute wollten gesehen haben, daß dieselbe Maske zu ihr in den Wagen stieg. Weiter weiß niemand etwas Gewisses. Aber ich werde es bald erfahren, was an der Sache ist.“

„Ich weiß, Ihr habt so Eure eigenen Kanäle, und gewiß habt Ihr auch bei der Bianetti einen dienstbaren Geist. Es gibt Leute, die Euch die Stadtchronik nennen.“

„Zu viel Ehre, zu viel Ehre“, lachte der Kommerzienrat und schien sich ein wenig geschmeichelt zu fühlen. „Diesmal habe ich aber keinen andern Spion als den Medizinalrat selbst. Ihr müßt bemerkt haben, daß ich, ganz gegen meine Gewohnheit, nicht die ganze Straße hinauf und hinab wandle, sondern mich immer zwischen der Karls- und Friedrichsstraße halte.“

„Wohl habe ich dies bemerkt, aber ich dachte, Ihr macht Fensterparade vor der Staatsrätin Baruch.“

„Geht mir mit Baruch! wir haben seit drei Tagen gebrochen, meine Frau sah das Verhältnis nicht gerne, weil jene so hoch spielt. Nein, der Medizinalrat Lange kommt alle Tage um zwölf Uhr durch die Breite Straße, um ins Schloß zu gehen, und ich stehe hier auf dem Anstand, um ihn sogleich aufs Korn zu nehmen, wenn er um die Ecke kommt.“

„Da bleibe ich bei Euch“, sprach der Freund, „die Geschichte


  1. Sotta voce (ital.), musikalischer Ausdruck, d. h. mit gedämpfter Stimme.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 330–331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_166.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)