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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Der Major war außer sich; was sollte er ihr sagen? Sie hing so erwartungsvoll an seinen Lippen, es war, als sollte ein Wort von ihm sie ins Leben rufen – ihr Auge strahlte wieder, jenes holde Lächeln erschien wieder auf ihren lieblichen Zügen – sie lauschte wie auf die Botschaft eines guten Engels.

Er antwortete nicht, er sah finster auf den Boden; da verschwand allmählich die frohe Hoffnung aus ihren Zügen, das Auge senkte sich, der kleine Mund preßte sich schmerzlich zusammen, das zarte Rot, das noch einmal ihre Wangen gefärbt hatte, floh; sie senkte ihre Stirne in die schöne Hand, sie verbarg ihre weinenden Augen.

„Ich sehe“, sagte sie, „Sie sind zu edel, mir mit Hoffnungen zu schmeicheln, die nach wenigen Tagen wieder verschwinden müßten. Ich danke Ihnen, auch für diese schreckliche Gewißheit. Sie ist immer besser als das ungewisse Schweben zwischen Schmerz und Freude; und nun, mein Freund, nehmen Sie dort das Kästchen, suchen Sie es ihm zuzustellen, es enthält manches, was mir teuer war – doch nein, lassen Sie es mir noch einige Tage, ich schicke es Ihnen, wenn ich es nicht mehr brauche.

„Es ist mir, als werde ich nicht mehr lange leben“, fuhr sie nach einigen Augenblicken fort; „ich bin gewiß nicht abergläubisch, aber warum muß ich gerade nach diesem fatalen ‚Othello‘ krank werden?“

„Ich hätte nicht gedacht, daß dieser Gedanke nur einen Augenblick Ew. Durchlaucht Sorge machen könnte!“ sagte der Major.

„Sie haben recht, es ist töricht von mir; aber in der Nacht, als man mich krank aus der Oper brachte, träumte mir, ich werde sterben. Eine ernste, finstere junge Dame kam mit einem Plumeau von roter Seide auf mich zu, deckte ihn über mich her und preßte ihn immer stärker auf mich, daß ich beinahe erstickte. Dann kam plötzlich mein Großoheim, der Herzog Nepomuk, geradeso, wie er gemalt in der Galerie hängt, und befreite mich von dem beengenden Druck, und das Sonderbarste ist –“

„Nun?“ fragte der Baron lächelnd, „was fing denn der gemalte Herzog mit Desdemona an?“

Die Prinzessin staunte. „Woher wissen Sie denn, daß [323] die Dame Desdemona ist? Ich beschwöre Sie, woher wissen Sie dies?“

Der Major schwieg einen Augenblick verlegen. „Was ist natürlicher“, antwortete er dann, „als daß Sie von Desdemona träumen? Sie hatten sie ja am Abende zuvor in einem roten Bette verscheiden sehen.“

„Sonderbar, daß Sie auch gleich auf den Gedanken kamen. Das Sonderbarste aber ist, ich wachte auf, als der Herzog mich befreite, ich wachte in der Tat auf und sah – wie jene Dame mit dem Plumeau unter dem Arm langsam zur Türe hinausging. Seit dieser Nacht träume ich immer dasselbe, immer beengender war ihr Druck, immer später kommt mir der Herzog zu Hülfe, aber immer sehe ich sie deutlich aus dem Zimmer schweben! Und als ich gestern abend mir die Harfe bringen ließ und mein liebes Desdemona-Liedchen spielte, da – spotten Sie immer über mich! da ging die Türe auf und jene Dame sah ins Zimmer und nickte mir zu.“

Sie hatte dieses halb scherzend, halb in Ernst erzählt; sie wurde ernster; „nicht wahr, Major“, sagte sie, „wenn ich sterbe, gedenken Sie auch meiner? Das Andenken eines solchen Mannes ist mir wert.“ – „Prinzessin!“ rief der Major, indem er vergebens seine Wehmut zu bezwingen suchte, „entfernen Sie doch diese Gedanken, die unmöglich zu Ihrer Genesung heilsam sein können!“

Die Oberhofmeisterin erschien in der Türe und gab ein Zeichen, daß die Audienz zu Ende sein müsse. Sophie reichte dem Major die Hand zum Kusse, er hat nie mit tieferen Empfindungen von Schmerz, Liebe und Ehrfurcht die Hand eines Mädchens geküßt. Er erhob sein Auge noch einmal zu ihr auf, er begegnete ihren Blicken, die voll Wehmut auf ihm ruhten. Die Oberhofmeisterin trat mit einer Amtsmiene näher; der Major stand auf; wie schwer wurde es ihm, mit kalten gesellschaftlichen Formen sich von einem Wesen zu trennen, das ihm in wenigen Minuten so teuer geworden war.

„Ich hoffe“, sagte er, „Euer Durchlaucht bei der nächsten Cour ganz hergestellt wiederzusehen.“

„Sie hoffen, Major?“ entgegnete sie schmerzlich lächelnd; „leben Sie wohl, ich habe zu hoffen aufgehört.“

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891-1909, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_162.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)