Seite:De Wilhelm Hauff Bd 4 161.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

lieblichen Kind, das in einem einfachen, weißen Gewand auf einer prachtvollen Ottomane lag.

Der Eindruck, den ihre Züge, ihre Gestalt, ihr ganzes Wesen zum erstenmal auf ihn gemacht hatten, kehrte auch jetzt wieder in die Seele des Majors. Es war ihre einfache, ungeschmückte Schönheit, ihre stille Größe, verborgen hinter dem Zauber kindlicher Liebenswürdigkeit, was ihn angezogen hatte. Wohl blendete ihn damals der Glanz der frischen, jugendlichen Farben, die lebhaft strahlenden Augen, jenes gewinnende, huldvolle Lächeln, das ihre feinen rosigen Lippen umschwebte. Ein Nachtfrost hatte diese Blüten abgestreift; aber gab ihr nicht diese durchsichtige Blässe, diese stille Trauer in dem sinnigen Auge, dieser wehmütige Zug um den Mund, der nie mehr scherzte, eine noch erhabenere Schönheit, einen noch gefährlicheren Zauber? Der Major stand einige Schritte von ihr stille und betrachtete sie mit tiefer Rührung. Sie winkte ihm nach einem Taburett, das zu ihren Füßen stand, sie sprach, ihre Stimme hatte zwar jenes helle Metall verloren, das sonst ihre heiteren Scherze, ihr fröhliches Lachen ertönen ließ, aber diese weichen, rührenden Töne drangen tiefer. – „Es wäre töricht von mir, Herr Baron“, sprach sie, „wollte ich Sie lange in Ungewißheit lassen, warum ich Sie rufen ließ. Ich weiß, daß der Graf Sie, als seinen besten Freund, von einem Verhältnis unterrichtet hat, das nie hätte bestehen sollen. – Erinnern Sie sich noch des Abends in ‚Othello‘? Ich sagte Ihnen von einem Billet, das ich bekommen habe, ich erinnere mich, daß Sie mir es wiederholt abforderten; warum haben Sie das getan?“

„Warum, fragen Euer Durchlaucht? weil ich den Inhalt ahnete, zu wissen glaubte.“

„Also doch!“ rief sie, und eine Träne drang aus ihrem schönen Auge; „also doch! Ich hielt Sie, seit dem ersten Augenblick, wo ich Sie sah, für einen Mann von Ehre; wenn Sie die Vehältnisse des Grafen wußten, warum haben Sie ihn nicht bälder entfernt, warum mir nicht den Schmerz erspart, ihn verachten zu müssen?“

„Ich kann, bei allem, was mir heilig ist, bei meiner Ehre schwören“, entgegnete der Major, „daß ich kaum eine Stunde, [321] bevor ich zu Eurer Durchlaucht in die Loge trat, diese Verhältnisse durch ein Papier erfahren habe, das durch Zufall, statt in des Grafen Hände, in die meinigen kam. Als ich den Grafen darüber zur Rede stellen wollte, hatte er schon Nachricht davon bekommen und war abgereist. Ich ahnete aus gewissen Winken, die jenes Briefchen enthielt, daß auch Sie nicht verschont bleiben werden; umsonst versuchte ich das unglückliche Blättchen Eurer Durchlaucht abzuschwatzen.“

„Sie glauben also an diese Erfindung?“ sagte Sophie, indem ihre Tränen heftiger strömten; „ach, es ist ja nur ein Kunstgriff gewisser Leute, die ihn von uns entfernen wollten. Lesen Sie dieses Billet, es ist dasselbe, das ich erhielt; gestehen Sie selbst, es ist Verleumdung!“

Der Major las: „Der Graf v. Z. ist verheiratet; seine Gemahlin lebt in Avignon; drei kleine Kinder weinen um ihren Vater. – Sollte eine erlauchte Dame so wenig Ehrgefühl, so wenig Mitleid besitzen, ihn diesen Banden noch länger zu entziehen?“

Es war dieselbe Handschrift, dasselbe Siegel wie jenes Billet, das er selbst bekommen hatte. Er sah noch immer in diese Zeilen; er wagte nicht, aufzuschauen, er wußte nicht zu antworten; denn seine strengen Begriffe von Wahrheit erlaubten ihm nicht, gegen seine Überzeugung zu sprechen; das tiefe Mitleid mit ihrem Schmerz ließ ihn ihre Hoffnung nicht so grausam niederschlagen.

„Sehen Sie“, fuhr sie fort, als er noch immer schwieg, „wie ich dieses Briefchen arglos, neugierig erbrach, so überraschten mich jene schrecklichen Worte Gatte, Vater wie eine Stimme des Gerichtes. Die Sinne schwanden mir; ich wurde recht krank und elend; aber so oft ich nur eine Stunde mich leichter fühle, steigt meine Hoffnung wieder; ich glaube, Zronievsky kann doch nicht so gar schlecht gewesen sein, er kann mich nicht so schrecklich betrogen haben. Lächeln Sie doch, Major, sein Sie freundlich. – Ich erlaube Ihnen, Sie dürfen mich verspotten, weil ich mich durch diese Zeilen so ganz außer Fassung bringen ließ – aber nicht wahr, Sie meinen selbst, es ist eine Lüge, es ist Verleumdung?“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891-1909, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_161.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)