Seite:De Wilhelm Hauff Bd 4 158.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Augenblicke in seinem Leben der gewesen sei, wo er im ersten Zwischenakt „Othellos“ in die fürstliche Loge trat. Es war ihm zu Mut, als habe er selbst an Sophien gefrevelt, als sei er es, der ihr Herz brechen müsse. Der Gedanke war ihm unerträglich, sie arglos, glücklich, erwartungsvoll vor sich zu sehen und doch zu wissen, welch namenloses Unglück ihrer warte. Er trat ein; ihre Blicke begegneten ihm sogleich; sie hatte wohl oft nach der Türe gesehen. Mit hastiger Ungeduld übersah sie einen Prinzen und zwei Generale, die sich ihr nahen wollten, sie winkte den Major heran. „Haben wir jetzt unsern ‚Othello‘!“ sagte sie; „sind Sie nicht auch glücklich, erwartungsvoll? – doch einen unserer Othelloverschworenen sehe ich nicht“, flüsterte sie leiser, indem sie leicht errötete; „der Graf ist sicherlich hinter den Kulissen, um recht warmen Dank zu verdienen, wenn er alles recht schön machen läßt?“

„Verzeihen Euer Hoheit“, erwiderte der Major, mühsam nach Fassung ringend; „der Graf läßt sich entschuldigen, er ist schnell auf einige Tage verreist.“

Sophie erbleichte; „verreist, also nicht in der Oper? Wohin riefen ihn denn so schnell seine Geschäfte? O, das ist gewiß ein Scherz, den Sie beide zusammen machen“, rief sie, „glauben Sie denn, er werde nur so schnell weggehen, ohne sich zu beurlauben? Nein, nein, das gibt irgend einen hübschen Spaß. Jetzt weiß ich auch, woher mir ein gewisses Briefchen zukam.“

Der Major erschrak, daß er sich an dem nächsten Stuhl halten mußte. „Ein Briefchen!“ fragte er mit bebender Stimme, eine schreckliche Ahnung stieg in ihm auf.

„Ja, ein zierliches Billetchen“, sagte sie und ließ neckend das Ende eines Papiers unter dem breiten Bracelet hervorsehen, das ihren schönen Arm umschloß. „Ein Briefchen, das man recht geheimnisvoll mir zugesteckt hat. Ich sehe es Ihnen an den Augen an, Sie sind im Komplott. Ich habe noch keine Gelegenheit gefunden, es zu öffnen, denn einen solchen Scherz muß man nicht öffentlich machen, aber sobald ich in mein Boudoir komme –“

„Durchlaucht! ich bitte um Gottes willen, geben Sie mir das Billet“, sagte der Major, von den schrecklichsten Qualen [315] gefoltert; „es ist gar nicht einmal an Sie, es ist in ganz unrechte Hände gekommen.“

„So? um so besser; das gebe ich um keine Welt heraus, das soll mir Aufschluß geben über die Geheimnisse gewisser Leute! An eine Dame war es also auf jeden Fall; es ist wirklich hübsch, daß es gerade in meine Hände kam.“

Der Major wollte noch einmal bitten, beschwören, aber der Prinz fuhr mit seinem Kopf dazwischen, die beiden Generale fielen mit Fragen und Neuigkeiten herein, er mußte sich zurückziehen. Verfolgt von schrecklichen Qualen, ging er zu seiner Loge zurück, er preßte seine Augen in die Hand, um die Unglückliche nicht zu sehen, und immer wieder mußte er von neuem hinschauen, mußte von neuem die Qualen der Angst, die Gewißheit des nahenden Unglücks mit seinen Blicken einsaugen.

Die Diamanten am Schlosse ihres Armbandes spielten in tausend Lichtern, ihre Strahlen zuckten zu ihm herüber, sie drangen wie tausend Pfeile in sein Herz. „Welchen Jammer verschließen jene Diamanten! Wenn sie im einsamen Gemach diese Bänder öffnet, öffnet sie nicht zugleich die Pforte eines grauenvollen Frevels? Ihr Puls schlägt an diese unseligen Zeilen, wie ihr Herz für den Geliebten pocht; wird es nicht stille stehen, wenn das Siegel springt und das ahnungslose Auge auf eine furchtbare Kunde fällt?“

Desdemona stimmte ihre Harfe; ihre wehmütigen Akkorde zogen flüsternd durch das Haus, sie erhob ihre Stimme, sie sang – ihren Schwanengesang. Wie wunderbar, wie mächtig ergriffen diese melancholische Klänge jedes Herz; so einfach, so kindlich ist dieses Lied, und doch von so hohem tragischem Effekt! Man fühlt sich bange und beengt, man ahnt, welch grauenvolles Schicksal ihrer warte, man glaubt den Mörder in der Ferne schleichen zu hören, man fühlt die unabwendbare Macht des Schicksals näher und näher kommen, es umrauscht sie wie die Fittiche des Todes. Sie ahnet es nicht; sanft, arglos wie ein süßes Kind sitzt sie an der Harfe, nur die Schwermut zittert in weichen Klängen aus ihrer Brust hervor, aus diesem vollen, liebewarmen Herzen, für das der Stahl schon gezückt ist. Sie flüstert Liebesgrüße in die Ferne nach ihm, der sie zermalmen

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891-1909, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_158.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)