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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

machen könne, es blieb ihm nichts übrig, als sie zu beschwören, keinen Brief von fremden Händen anzunehmen. Er warf den Mantel um und wollte eben das Zimmer verlassen, als sein Diener zurückkam, er hatte das Paket an den Grafen noch in der Hand. „Seine Exzellenz sind soeben abgereist“, sagte er und legte das Paket auf den Tisch.

„Abgereist?“ rief der Major, „Nicht möglich!“

„Vor der Türe ist sein Jäger, er hat einen Brief an Sie; soll ich ihn hereinbringen?“

Der Major winkte, der Diener führte den Jäger herein, der ihm weinend einen Brief übergab. Er riß ihn auf. „Leben Sie wohl auf ewig! Der Brief, der, wie ich soeben erfahre, vor einer Stunde in Ihre Hände kam, wird meine Abreise sans Adieu entschuldigen. Wird mein Kamerad von sechs Feldzügen einer geliebten Dame den Schmerz ersparen, meinen Namen in allen Blättern aufrufen zu hören? wird er die wenigen Posten decken, die ich nicht mehr bezahlen kann?“

„Wann ist Euer Herr abgereist?“

„Vor einer Viertelstunde, Herr Major!“

„Wußtet Ihr um seine Reise?“

„Nein, Herr Major! Ich glaube, Seine Exzellenz wußten es heute nachmittag selbst noch nicht; denn sie wollten heute abend ins Theater fahren. Um fünf Uhr ging der Herr Graf zu Fuß aus und ließ mich folgen. Da begegnete ihm an der reformierten Kirche ein großer, hagerer Mann, der bei seinem Anblick sehr erschrak. Er ging auf meinen Herrn zu und fragte, ob er der Graf Zronievsky sei? Mein Herr bejahte es; darauf fragte er, ob er vor einer Viertelstunde ein Billet empfangen? der Herr Graf verneinte es. Nun sprach der fremde Mann eine Weile heimlich mit meinem Herrn; er muß ihm keine gute Nachrichten gegeben haben, denn der Herr Graf wurde blaß und zitterte; er kehrte um nach Hause, schickte den Kutscher nach Postpferden, ich mußte schnell zwei Koffer packen; der Reisewagen mußte vorfahren. Der Herr Graf verwies mich mit den Rechnungen und allem an Sie und fuhr die Straße hinab zum Süder-Tor hinaus. Er nahm vorher noch Abschied von mir, ich glaube für immer.“

[313] Der Major hatte schweigend den Bericht des Jägers angehört; er befahl ihm, den nächsten Morgen wieder zu kommen und fuhr ins Theater. Die Ouverture hatte schon begonnen, als er in die Loge trat, er warf sich auf einen Stuhl nieder, von wo er die fürstliche Loge beobachten konnte. In allem Schmuck ihrer natürlichen Schönheit und Anmut saß Prinzessin Sophie neben ihrer Mutter. Ihr Auge schien vor Freude zu strahlen, eine heitere Ruhe lag auf ihrer Stirne, um den feingeschnittenen Mund wehte ein holdes Lächeln, vielleicht der Nachklang eines heiteren Scherzes – sie hatte ja jetzt ihren Willen durchgesetzt, „Othello“ war es, der den Saal und die Logen des Hauses gefüllt hatte. Jetzt nahm sie die Lorgnette vor das Auge, wie letzthin schien sie eifrig im Hause noch etwas zu suchen – argloses Herz! du schlägst vergebens dem Geliebten entgegen; deine liebevollen Blicke werden ihn nicht mehr finden, dein Ohr lauscht vergebens, ob nicht sein Schritt im Korridor erschallt, du beugst umsonst den schönen Nacken zurück, die Türe will sich nicht öffnen, seine hohe, gebietende Gestalt wird sich dir nicht mehr nahen.

Sie senkte das Glas; ein Wölkchen von getäuschter Erwartung und Trauer lagerte sich unter den blonden Locken, die schönen Bogen der Brau’n zogen sich zusammen und ließen ein kaum merkliches Fältchen des Unmuts sehen. Die feinen seidenen Wimpern senkten sich wie eine durchsichtige Gardine herab, sie schien zu sinnen, sie zeichnete mit der Lorgnette auf die Brüstung der Loge. – Sind es vielleicht seine Chiffern, die sie in Gedanken versunken vor sich hinschreibt? Wie bald wird sie vielleicht dem Namen fluchen, der jetzt ihre Seele füllt!

Dem Major traten unwillkürlich Tränen in die Augen, als er Sophie betrachtete. „Noch ahnet sie nicht, was ihrer wartet“, dachte er, „aber nie, nie soll sie erfahren, wie elend der war, den sie liebte.“ Der Gedanke an diesen Elenden bemächtigte sich seiner aufs neue; er drückte die Augen zu, verfluchte die menschliche Natur, die durch Leichtsinn und Schwäche aus einem erhabenen Geist, aus einem tapfern Mann einen ehrvergessenen, treulosen Betrüger machen könne.

Der Major hat oft gestanden, daß einer der schrecklichsten

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891-1909, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_157.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)