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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

fremdartigsten Reden und Gegenständen, und immer noch glaubte er, eine süße Stimme flüstern zu hören: „Wenn ich sterbe – sei es mein Schwanengesang.“

Der Sonntag kam und mit ihm ein sonderbarer Vorfall. Der Major war nachmittags mit dem Grafen und mehreren Offizieren ausgeritten. Auf dem Heimweg überfiel sie ein Regen, der sie bis auf die Haut durchnäßte. Die Wohnung des Grafen lag dem Tore zunächst, er bat daher den Major, sich bei ihm umzukleiden; einen Hut des Freundes auf dem Kopf, in einen seiner Überröcke gehüllt, trat der Major aus dem Hause, um in seine eigene Wohnung zu eilen. Er mochte einige Straßen gegangen sein, und immer war es ihm, als schleiche jemand allen seinen Tritten nach. Er blieb stehen, sah sich um, und dicht hinter ihm stand ein hagerer, großer Mann in einem abgetragenen Rock. „Dies an Sie, Herr!“ sagte er mit dumpfer Stimme und durchdringendem Blick, drückte dem Erstaunten ein kleines Billet in die Hand und sprang um die nächste Ecke. Der Major konnte nicht begreifen, woher ihm, in der völlig fremden Stadt, solche geheimnisvolle Botschaft kommen sollte? Er betrachtete das Billet von allen Seiten, es war ein feines, glänzendes Papier, in eine Schleife künstlich zusammengeschlungen, mit einer schönen Kamee gesiegelt. Keine Aufschrift. „Vielleicht will man sich einen Scherz mit dir machen“, dachte er und öffnete es sorglos noch auf der Straße; er las und wurde aufmerksam, er las weiter und erblaßte, er steckte das Papier in die Tasche und eilte seiner Wohnung, seinem Zimmer zu.

Es war schon Dämmerung gewesen auf der Straße, er glaubte nicht recht gelesen zu haben, er rief nach Licht. Aber auch beim hellen Schein der Kerzen blieben die unseligen Worte fest und drohend stehen.

„Elender! Du kannst Dein Weib, Deine kleinen Würmer im Elend schmachten lassen, während du vor der Welt in Glanz und Pracht auftrittst? Was willst Du in dieser Stadt? Willst Du ein ehrwürdiges Fürstenhaus beschimpfen, seine Tochter so unglücklich machen, als Du Dein Weib gemacht hast! Fliehe; in der Stunde, wo Du dieses lies’st, weiß Pr. Sph. das schändliche Geheimnis Deines Betrugs.“

[311] Der Major war keinen Augenblick im Zweifel, daß diese Zeilen an den Grafen gerichtet, daß sie durch Zufall, vielleicht weil er in des Freundes Kleidern über die Straße gegangen, in seine Hände geraten seien. Jetzt wurden ihm auf einmal jene Ausbrüche der Verzweiflung klar; es war Reue, Selbstverachtung, die in einzelnen Momenten die glänzende Hülle durchbrochen, womit er sein trügerisches Spiel bedeckt hatte. Laruns Blicke fielen auf die Zeilen, die er noch immer in der Hand hielt, jene Chiffern Pr. Sph. konnten nichts anderes bedeuten als den Namen des holden, jetzt so unglückseligen Geschöpfes, das jener gewissenlose Verräter in sein Netz gezogen hatte. Der Major war ein Mann von kaltem, berechnendem Blick, von starkem, konsequentem Geiste; er hatte sich selten oder nie von einem Gegenstand überraschen oder außer Fassung setzen lassen, aber in diesem Augenblick war er nicht mehr Herr über sich; Wut, Grimm, Verachtung kämpften wechselweise in seiner Seele. Er suchte sich zu bezwingen, die Sache von einem milderen Gesichtspunkt anzusehen, den Grafen durch seinen Charakter, seinen grenzenlosen Leichtsinn zu entschuldigen; aber der Gedanke an Sophie, der Blick auf „das Weib und die armen kleinen Würmer“ des Elenden verjagten jede mildernde Gesinnung, brausten wie ein Sturm durch seine Seele; ja, es gab Augenblicke, wo seine Hand krampfhaft nach der Wand hinzuckte, um die Pistolen herunterzureißen und den schlechten Mann noch in dieser Stunde zu züchtigen. Doch die Verachtung gegen ihn bewirkte, was mildere Stimmen in seiner Brust nicht bewirken konnten; „er muß fort, noch diese Stunde“, rief er; „die Unglückliche, die er betörte, darf um keinen Preis erfahren, welchem Elenden sie ihre erste Liebe schenkte. Sie soll ihn beweinen, vergessen; ihn verachten zu müssen, könnte sie töten.“ Er warf diese Gedanken schnell aufs Papier, raffte eine große Summe, mehr als er entbehren konnte, zusammen, legte den unglücklichen Brief bei und schickte alles durch seinen Diener an den Grafen.

Es war die Stunde, in die Oper zu fahren; wie gerne hätte der Major heute keinen Menschen mehr gesehen, und doch glaubte er es der Prinzessin schuldig zu sein, sie vor der gedrohten Warnung zu bewahren. Er sann hin und her, wie er dies möglich

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891-1909, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_156.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)