Seite:De Wilhelm Hauff Bd 4 154.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„Gottlob, ich habe sie nie erfahren; mein Weg ging immer geradeaus aufs Ziel!“

„Geradeaus aufs Ziel? Wer auch so glücklich wäre! Erinnern Sie sich noch des Morgens, als wir aus den Toren von Warschau ritten? Unsere Gefühle, unsere Sinne gehörten jenem großen Geiste, der sie gefangen hielt; aber wem gehörten die Herzen der polnischen Lanciers? Unsere Trompeten ließen jene Arien aus den „Krakauern“[1] ertönen, jene Gesänge, die uns als Knaben bis zur Wut für das Vaterland begeistert hatten; diese wohlbekannten Klänge pochten wieder an die Pforte unserer Brust; Kamerad, wem gehörten unsere Herzen?“

„Dem Vaterland!“ sagte der Major gerührt; „ja, damals, damals war ich freilich wankelmütig!“

„Wohl Ihnen, daß Sie es sonst nie waren; der Teufel weiß das recht hübsch zu machen; er läßt uns hier empfinden, glücklich werden, und dort spiegelt er noch höhere Wonne, noch größeres Glück uns vor!“

„Möglich; aber der Mann hat Kraft, dem treu zu bleiben, was er gewählt hat.“

„Das ist es“, rief der Graf, wie niedergedonnert durch dies eine Wort; „das ist es, und daraus – die Selbstverachtung; und warum besser scheinen, als ich bin. Kamerad, Sie sind ein Mann von Ehre, fliehen Sie mich wie die Pest, ich bin ein Ehrloser, ein Ehrvergessener, Sie sind ein Mann von Kraft, verachten Sie mich, ich muß mich selbst verachten, wissen Sie, ich bin –“

„Halt, ruhig!“ unterbrach ihn der Freund, „es pochte an der Türe – herein!“


7.

„Bedaure, bedaure unendlich“, sprach der Regisseur der Oper und rutschte mit tiefen Verbeugungen ins Zimmer, „ich unterbreche Hochdieselben?“

„Was bringen Sie uns?“ erwiderte der Major, schneller gefaßt als der unglückliche Freund; „setzen Sie sich und verschmähen Sie nicht unsern Wein; was führt Sie zu uns?“

[307] „Die traurige Gewißheit, daß ‚Othello‘ doch gegeben wird. Es hilft nichts; alles Bitten ist umsonst. Ich will Ihnen nur gestehen, ich ließ die Oper einüben, hatte aber unsere Primadonna schon dahin gebracht, daß sie mir feierlich gelobte, heiser zu werden; da führt der Satan gestern abend die Sängerin Fanutti in die Stadt; sie kommt vom …ner Theater, bittet die allerhöchste Theaterdirektion um Gastrollen, und stellen Sie sich vor, man sagt ihr auf nächsten Sonntag ‚Othello‘ zu. Ich habe beinahe geweint, wie es mir angezeigt wurde; jetzt hilft kein Gott mehr dagegen, und doch habe ich schreckliche Ahnungen!“

„Alter Herr!“ rief der Graf, der indessen Zeit gehabt hatte, sich zu sammeln. „Geben Sie doch einmal Ihren Köhlerglauben auf; ich kann Sie versichern, es soll keiner der allerhöchsten Personen ein Haar gekrümmt werden; ich gehe hinaus auf den Kirchhof, lasse mir das Grab der erwürgten Desdemona zeigen, mache ihr meine Aufwartung und bitte sie, diesmal ein Auge zuzudrücken und mich zu erwürgen. Freilich hat sie dann nur einen Grafen und kein fürstliches Blut; doch einer meiner Vorfahren hat auch eine Krone getragen!“

„Freveln Sie nicht so schrecklich“, entgegnete der Alte; „wie leicht kann Sie das Unglück mit hinabziehen! Mit solchen Dingen ist nicht zu scherzen. Überdies habe ich heute nacht im Traum einen großen Trauerzug mit Fackeln gesehen, wie man Fürsten zu begraben pflegt.“

„Schreckliche Visionen, guter Herr!“ lachte der Major. „Haben Sie vielleicht vorher ein Gläschen zu viel getrunken? Und was ist natürlicher, als daß Sie solches Zeug träumen, da Sie den ganzen Tag mit Todesgedanken umgehen!“

Der Alte ließ sich nicht aus seinem Ernst herausschwatzen. „Gerade Sie, verehrter Herr, sollten nicht Spott damit treiben“, sagte er. „Ich habe Sie nie gesehen, bis zu jener Stunde, wo Sie mich mit dem Herrn Grafen besuchten, und doch gingen wir beide heute nacht miteinander dem Sarge nach, Sie weinten heftig.“

„Immer köstlicher! wie lebhaft Sie träumen; darum mußte ich hieher kommen, um mit Ihnen, lieber Mann, im Traume spazieren zu gehen!“


  1. Aus Joh. Stefanis Oper „Die Krakauer und die Bergbewohner“ (Text von Boguslawski), die 1794 in Warschau erschien.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891-1909, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_154.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)