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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

entzückende Spiel der Liebe begann, wo ein Blick, ein flüchtiger Druck der Hand mehr sagt, als Worte auszudrücken vermögen, wo man tagelang nur in der freudigen Erwartung eines Abends, einer Stunde, einer einsamen Minute lebte, wo man in der Erinnerung dieses seligen Augenblickes schwelgte, bis der Abend wieder erschien, bis ich aus dem Taumelkelch ihrer süßen Augen aufs neue Vergessenheit trank! Wie reich wußte sie zu geben, wie viel Liebe wußte sie in ein Wort, in einen Blick zu legen; und ich sollte fliehen?“

„Und wer verlangt dies?“ sagte der Freund gerührt. „Es wäre grausam gewesen, eine so schöne Liebe, die alle Verhältnisse zum Opfer brachte, zurückzustoßen. Nur Vorsicht hätte ich gewünscht, ich denke, noch ist nicht alles verloren!“

Er schien nicht darauf zu hören; seine Tränen strömten heftiger, sein glänzendes Auge schien tiefer in die Vergangenheit zu tauchen. „Und als sie mir mit holdem Erröten sagte, wie ich zu ihr gelangen könne, als sie erlaubte, ihre fürstliche Stirne zu küssen, als der süße Mund, dessen Wünsche einem Volk Befehle waren, mein gehörte und die Hoheit einer Fürstin unterging im traulichen Flüstern der Liebe – da, da sollte ich sie lassen?“

„Wie glücklich sind Sie! gerade in dem Geheimnis dieses Verhältnisses muß ein eigener Reiz liegen; und warum wollen Sie diese Liebe so tief verdammen? Fassen Sie sich. Das Urteil der Welt kann Ihnen gleichgültig sein, wenn Sie glücklich sind. Denn im ganzen trägt ja wahrhaftig dies Verhältnis nichts so Schwarzes, Schuldiges an sich, wie Sie es selbst sich vorstellen!“

Der Graf hatte ihm zugehört; seine Augen rollten, seine Wangen färbten sich dunkler, er knirschte mit den Zähnen; „nicht so mild müssen Sie mich beurteilen“, sagte er mit dumpfer Stimme; „ich verdiene es nicht. Ich bin ein Frevler, vor dem Sie zurückschaudern sollten. O – daß ich Vergessenheit erkaufen könnte, daß ich Jahre auslöschen könnte aus meinem Gedächtnis. – Ich will vergessen, ich muß vergessen, ich werde wahnsinnig, wenn ich nicht vergesse; schaffen Sie Wein, Kamerad! ich will trinken, mich dürstet, es wütet eine Flamme in mir, ich will mein Gedächtnis, meine Schuld ersäufen.“

[305] Der Major war ein besonnener Mann; er dachte ziemlich ruhig über diese verzweiflungsvollen Ausbrüche der Reue und Selbstanklage; „er ist leichtsinnig, so habe ich ihn von jeher gekannt“, sagte er zu sich; „solche Menschen kommen leicht von einem Extrem ins andere. Er sieht jetzt große Schuld in seiner Liebe, weil sie der Geliebten in ihren Verhältnissen schaden kann, und im nächsten Augenblick berauscht ihn wieder die Wonne der Erinnerung.“ Der Wein kam, der Major goß ein; der Graf stürzte schnell einige Gläser hinunter; er ging mit schnellen Schritten schweigend im Zimmer auf und nieder, blieb vor dem Freunde stehen, trank und ging wieder. Dieser mochte seine stillen Empfindungen nicht unterbrechen; er trank und beobachtete über das Glas hin aufmerksam die Mienen, die Bewegungen seines Freundes.

„Major!“ rief dieser endlich und warf sich auf den Stuhl nieder; „welches Gefühl halten Sie für das schrecklichste?“

Dieser schlürfte bedächtig den Wein in kleinen Zügen, er schien nachzusinnen und sagte dann: „Ohne Zweifel das, was das freudigste Gefühl gibt, muß auch das traurigste werden. – Ehre, gekränkte Ehre.“

Der Graf lachte grimmig. „Lassen Sie sich die Taler wiedergeben, Kamerad, die Sie einem schlechten Psychologen für seinen Unterricht gaben. Gekränkte Ehre?! Also tiefer steigt Ihre Kunst nicht hinab in die Seele? Die gekränkte Ehre fühlt sich doch selbst noch; es lebt doch ein Gefühl in des Gekränkten Brust, das ihn hoch erhebt über die Kränkung, er kann die Scharte auswetzen am Beleidiger; er hat noch die Möglichkeit, seine Ehre wieder fleckenlos und rein zu waschen, aber tiefer, Herr Bruder“, rief er, indem er die Hand des Majors krampfhaft faßte, „tiefer hinab in die Seele; welches Gefühl ist noch schrecklicher?“

„Von einem habe ich gehört“, erwiderte jener, „das aber Männer wie wir nicht kennen – es heißt Selbstverachtung.“

Der Graf erbleichte und zitterte, er stand schweigend auf und sah den Freund lange an. „Getroffen, Kamerad“, sagte er, „das sitzt noch tiefer. Männer wie wir pflegen es nicht zu kennen, es heißt Selbstverachtung. Aber der Teufel legt auch gar seine Schlingen auf die Erde, ehe man sich versieht, ist man gefangen. Kennen Sie die Qual des Wankelmutes, Major?“

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891-1909, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_153.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)