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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„Ich könnte Ihnen noch einige aufführen“, erwiderte der Alte mit Ruhe, „doch Sie langweilen sich bei dieser sonderbaren Unterhaltung; nur aus der neuesten Zeit noch einen Fall. Rossini schrieb seine herrliche Oper ‚Othello‘, worin er, was man bezweifelt hatte, zeigte, daß er es verstehe, auch die tieferen, tragischen Saiten der menschlichen Brust anzuschlagen. Er wurde hier höheren Orts nicht verlangt, daher wurde er auch nicht fürs Theater einstudiert. Die Kapelle aber unternahm es, diese Oper für sich zu studieren, es wurden einige Szenen in Konzerten ausgeführt, und diese wenigen Proben entzündeten im Publikum einen so raschen Eifer für die Oper, daß man allgemein in Zeitungen, an Wirtstafeln, in Singtees und dergleichen von nichts als ‚Othello‘ sprach, nichts als ‚Othello‘ verlangte. Von den grauenvollen Begebenheiten, die das Schauspiel ‚Othello‘ begleitet hatten, war gar nicht die Rede; es schien, man denke sich unter der Oper einen ganz andern ‚Othello‘. Endlich bekam der damalige Regisseur (ich war noch auf dem Theater und machte den Othello), er bekam den Auftrag, sage ich, die Oper in die Szene zu setzen. Das Haus war zum Ersticken voll, Hof und Adel war da, das Orchester strengte sich übermenschlich an, die Sängerinnen ließen nichts zu wünschen übrig, aber ich weiß nicht – uns alle wehte ein unheimlicher Geist an, als Desdemona ihr Lied zur Harfe spielte, als sie sich zum Schlafengehen rüstete, als der Mörder, der abscheuliche Mohr, sich nahte. Es war dasselbe Haus, es waren dieselben Bretter, es war dieselbe Szene wie damals, wo ein liebliches Geschöpf in derselben Rolle so greulich ihr Leben endete. Ich muß gestehen, trotz der Teufelsnatur meines Othello befiel mich ein leichtes Zittern, als der Mord geschah, ich blickte ängstlich nach der fürstlichen Loge, wo so viele blühende, kräftige Gestalten auf unser Spiel herübersahen, ‚wirst du wohl durch die Töne, die deinen Tod begleiten, dich besänftigen lassen, blutdürstiges Gespenst der Gemordeten?‘ dachte ich. Es war so; fünf, sechs Tage hörte man nichts von einer Krankheit im Schlosse; man lachte, daß es nur der Einkleidung in eine Oper bedurfte, um jenen Geist gleichsam irre zu machen; der siebente Tag verging ruhig, am achten wurde Prinz Ferdinand auf der Jagd erschossen.“

[301] „Ich habe davon gehört“, sagte der Major, „aber es war Zufall; die Büchse seines Nachbars ging los und –“

„Sage ich denn, das Gespenst bringe die Höchstseligen selbst um, drücke ihnen eigenhändig die Kehle zu? Ich spreche ja nur von einem unerklärlichen, geheimnisvollen Zusammenhang.“

„Und haben Sie uns nicht noch zu guter Letzt ein Märchen erzählt; wo steht denn geschrieben, daß acht Tage vor jener Jagd ‚Othello‘ gegeben wurde?“

„Hier!“ erwiderte der Regisseur kaltblütig, indem er auf eine Stelle in seiner Chronik wies; der Graf las: „‚Othello‘, Oper von Rossini, den 12. März“, und auf dem Rande stand dreimal unterstrichen: „Den 20. fiel Prinz Ferdinand auf der Jagd.“

Die Männer sahen einander schweigend einige Augenblicke an; sie schienen lächeln zu wollen, und doch hatte sie der Ernst des alten Mannes, das sonderbare Zusammentreffen jener furchtbaren Ereignisse tiefer ergriffen, als sie sich selbst gestehen mochten. Der Major blätterte in der Chronik und pfiff vor sich hin, der Graf schien über etwas nachzusinnen, er hatte Stirne und Augen fest in die Hand gestützt. Endlich sprang er auf: „Und dies alles kann Ihnen dennoch nicht helfen“, rief er, „die Oper muß gegeben werden. Der Hof, die Gesandten wissen es schon, man würde sich blamieren, wollte man durch diese Zufälle sich stören lassen. Hier sind vierhundert Taler, mein Herr! Es sind einige Freunde und Liebhaber der Kunst, welche sie Ihnen zustellen, um Ihren ‚Othello‘ recht glänzend auftreten zu lassen. Kaufen Sie davon, was Sie wollen“, setzte er lächelnd hinzu, „lassen Sie Geisterbanner, Beschwörer kommen, kaufen Sie einen ganzen Hexenapparat, kurz, was nur immer nötig ist, um das Gespenst zu vertreiben – nur geben Sie uns ‚Othello‘.“

„Meine Herren“, sagte der Alte, „es ist möglich, daß ich in meiner Jugend selbst über dergleichen gelacht und gescherzt hätte; das Alter hat mich ruhiger gemacht, ich habe gelernt, daß es Dinge gibt, die man nicht geradehin verwerfen muß. Ich danke für ihr Geschenk, ich werde es auf eine würdige Weise anzuwenden wissen. Aber nur auf den strengsten Befehl werde ich ‚Othello‘ geben lassen. Ach Gott und Herr!“ rief er kläglich,

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891-1909, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_151.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)