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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„Nennen Sie es immerhin so“, versetzte der Alte und blätterte weiter. „Doch hören Sie; ‚Othello‘ wurde zwei Jahre lang nicht mehr gegeben, denn wegen der Erinnerung an jenen Mord mochte der Herzog dieses Trauerspiel nicht leiden. Aber nach zwei Jahren, in diesem Buch steht jedes Lustspiel aufgezeichnet, nach zwei Jahren war er so ruchlos, es wieder aufführen zu lassen. Hier steht’s: ‚Den 28. September (1742) Othello, der Mohr von Venedig‘, und hier am Rande ist bemerkt: ‚Sonderbarlich! am 5. Oktober ist Prinzessin Auguste verstorben. Gerade auch acht Tage nach Othello, wie vor zwei Jahren der höchstselige Prinz Friedrich.‘ Zufall, meine werten Herren?“

„Allerdings Zufall!“ riefen jene.

„Weiter! ‚Den 6. Februar 1748, Othello, der Mohr von Venedig.‘ Ob es wohl wieder eintrifft? Sehen Sie her, meine Herren! das hat der Souffleur hergeschrieben, bemerken Sie gefälligst, es ist dieselbe Hand, die hier in margine bemerkt: ‚Entsetzlich! die Fandauerin spukt wieder, Prinz Alexander den 14. plötzlich gestorben. Acht Tage nach Othello.‘“ Der Alte hielt inne und sah seine Gäste fragend an, sie schwiegen, er blätterte weiter und las: „‚Den 16. Januar 1775, zum Benefiz der Mlle. Koller: Othello, der Mohr von Venedig. Richtig wieder! Arme Prinzessin Elisabeth, hast du müssen so schnell versterben? † 24. Jan. 1775.‘“

„Possen!“ unterbrach ihn der Major; „ich gebe zu, es ist so; es soll einigemal der Eigensinn des Zufalls es wirklich so gefügt haben; geben Sie mir aber nur einen vernünftigen Grund an zwischen Ursache und Wirkung, wenn Sie diese Höchstseligen am ‚Othello‘ versterben lassen wollen!“

„Herr!“ antwortete der alte Mann mit tiefem Ernst, „das kann ich nicht; aber ich erinnere an die Worte jenes großen Geistes, von dem auch dieser unglückselige ‚Othello‘ abstammt: ‚Es gibt viele Dinge zwischen Himmel und Erde, wovon sich die Philosophen nichts träumen lassen!‘“[1]

„Ich kenne das“, sagte der Graf; „aber ich wette, Shakespeare [299] hätte nie diesen Spruch von sich gegeben, hätte er gewußt, wie viel Lächerlichkeit sich hinter ihm verbirgt!“

„Es ist möglich“, erwiderte der Sänger; „hören Sie aber weiter. Ich komme jetzt an ein etwas neueres Beispiel, dessen ich mich erinnern kann, an den Herzog selbst.“

„Wie“, unterbrach ihn der Major; „eben jener, der die Aktrice ermorden ließ…?“

„Derselbe; ‚Othello‘ war vielleicht zwanzig Jahre nicht mehr gegeben worden, da kamen, ich weiß es noch wie heute, fremde Herrschaften zum Besuch. Unser Schauspiel gefiel ihnen, und sonderbarerweise wünschte eine der fremden fürstlichen Damen ‚Othello‘ zu sehen. Der Herzog ging ungern daran, nicht aus Angst vor den greulichen Umständen, die diesem Stück zu folgen pflegten, denn er war ein Freigeist und glaubte an nichts dergleichen; aber er war jetzt alt; die Sünden und Frevel seiner Jugend fielen ihm schwer aufs Herz, und er hatte Abscheu vor diesem Trauerspiel. Aber sei es, daß er der Dame nichts abschlagen mochte, sei es, daß er sich vor dem Publikum schämte, das Stück mußte über Hals und Kopf einstudiert werden, es wurde auf seinem Lustschloß gegeben. Sehen Sie, hier steht es: ‚Othello, den 16. Oktober 1793 auf dem Lustschloß H… aufgeführt.‘“

„Nun, Alter! und was folgte, geschwind!“ riefen die Freunde ungeduldig.

„Acht Tage nachher, den 24. Oktober 1793, ist der Herzog gestorben.“

„Nicht möglich“, sagte der Major nach einigem Stillschweigen; „lassen Sie Ihre Chronik sehen; wo steht denn etwas vom Herzog? Hier ist nichts in margine bemerkt.“

„Nein“, sagte der Alte und brachte zwei Bücher herbei; „aber hier seine Lebensgeschichte, hier seine Trauerrede, wollen Sie gefälligst nachsehen?“

Der Graf nahm ein kleines schwarzes Buch in die Hand und las: „Beschreibung der solennen Beisetzung des am 24. Oktober 1793 höchstselig verstorbenen Herzogs und Herrn“ – „dummes Zeug!“ rief er und sprang auf; „das könnte mich um den Verstand bringen. Zufall! Zufall! und nichts anders! Nun – und wissen Sie noch ein solches Histörchen?“


  1. Worte aus Shakespeares „Hamlet“, 1. Akt, 5. Szene:

    „There are more things in heaven and earth, Horatio,
    Than are dreamt of in your philosophy.“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891-1909, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_150.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)