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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„Eine köstliche Figur, Ihre Federntante“, rief die Prinzessin lachend; „ich kann mir sie denken, wie sie den Kopf mit dem Federnhut aus dem Wagen streckt, wie die Kinder laufen, als käme die Pest, weil keines krank werden will, und wie ein Reitknecht zur Stadt sprengen muß, um den Doktor zu holen, weil die Federntante erschienen sei. Da hatten Sie ja wahrhaftig eine lebendige weiße Frau in Ihrer Familie!“

„Still von diesen Dingen“, unterbrach sie die Fürstin ernst, beinahe unmutig; „man sollte nicht von Dingen so leichthin reden, die man nicht leugnen kann und deren Natur dennoch nie erklärt werden wird. So ist nun einmal auch mein ‚Othello‘“, setzte sie freundlicher hinzu. „Und Sie werden ihn nicht zu sehen bekommen, Baron, und müssen ihr Lieblingsstück schon wo anders aufsuchen.“

„Und Sie sollen ihn dennoch sehen“, flüsterte Sophie zu ihm hin, „ich muß mein Desdemonalied noch einmal hören, so recht sehen und hören auf der Bühne, und sollte ich selbst darüber zum Opfer werden!“

„Sie selbst?“ fragte der Fremde betroffen; „ich höre ja, der gespenstische Mohr soll nur brennen, nicht töten?“

„Ach, das war ja nur das Gleichnis der Mutter!“ flüsterte sie noch viel leiser, „die Sage ist noch viel schauriger, noch viel gefährlicher.“

Der Kapellmeister pochte, die Introduktion des zweiten Akts begann, und der Fremde stand auf, die fürstliche Loge zu verlassen. Die Herzogin hatte ihn gütig entlassen, aber vergebens sah er sich nach dem Gesandten um, er war wohl längst in seine Loge zurückgekehrt. Unschlüssig, ob er rechts oder links gehen müsse, stand er im Korridor, als eine warme Hand sich in die seinige legte; er blickte auf, es war der Graf Zronievsky.


3.

„So habe ich doch recht gesehen?“ rief der Graf, „mein Major, mein tapferer Major! Wie lebt alles wieder in mir auf! Ich werfe diese unglücklichen dreizehn Jahre von mir; ich bin der frohe Lancier wie sonst! Vive Poniatowsky, vive l’emp –“

„Um Gottes willen, Graf!“ fiel ihm der Fremde in das [289] Wort; „bedenken Sie, wo Sie sind. Und warum diese Schatten heraufbeschwören? Sie sind hinab mit ihrer Zeit, lasset die Toten ruhen.“

„Ruhen?“ entgegnete jener; „das ist ja gerade, was ich nicht kann; o, daß ich unter jenen Toten wäre, wie sanft, wie geduldig wollte ich ruhen. Sie schlafen, meine tapfern Polen, und keine Stimme, wie mächtig sie auch rufe, schreckt sie auf. Warum darf ich allein nicht rasten?“

Ein düsteres, unstätes Feuer brannte in den Augen des schönen Mannes; seine Lippen schlossen sich schmerzlich; sein Freund betrachtete ihn mit besorgter Teilnahme, er sah hier nicht mehr den fröhlichen, heldenmütigen Jüngling, wie er ihn an der Spitze des Regimentes in den Tagen des Glückes gesehen; das zutrauliche, gewinnende Lächeln, das ihn sonst so angezogen, war einem grämlichen, bittern Zuge gewichen, das Auge, das sonst voll stolzer Zuversicht, voll freudigen Mutes, frei und offen um sich blickte, schien mißtrauisch jeden Gegenstand prüfen, durchbohren zu wollen, das matte Rot, das seine Wangen bedeckte, war nur der Abglanz jener Jugendblüte, die ihm in den Salons von Paris den Namen des schönen Polen erworben hatte, und dennoch, auch nach dieser großen Veränderung, welche Zeit und Unglück hervorgebracht hatten, mußte man gestehen, daß Prinzessin Sophie sehr zu entschuldigen sei.

„Sie sehen mich an, Major?“ sagte jener nach einigem Stillschweigen, „Sie betrachten mich, als wollten Sie die alten Zeiten aus meinen Zügen herausfinden? Geben Sie sich nicht vergebliche Mühe, es ist so manches anders geworden, sollte nicht der Mensch mit dem Geschick sich ändern?“

„Ich finde Sie nicht sehr verändert“, erwiderte der Fremde, „ich erkannte Sie bei dem ersten Anblick wieder. Aber Eines finde ich nicht mehr wie früher, aus diesen Augen ist ein gewisses Zutrauen verschwunden, das mich sonst so oft beglückte. Alexander Zronievsky scheint mir nicht mehr zu trauen. Und doch“, setzte er lächelnd hinzu, „und dennoch war mein Geist immer bei ihm, ich weiß sogar die tiefsten Gedanken seines Herzens.“

„Meines armen Herzens!“ entgegnete der Graf wehmütig; „ich wüßte kaum, ob ich noch ein Herz habe, wenn es nicht manchmal

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891-1909, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_145.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)