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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

wie soll ich mich nur ausdrücken, die, wenn wir sie frevelhaft hervorrufen, uns Unheil bringen können?“

„Sie sind nicht unparteiisch, Mutter“, rief die Prinzessin lebhaft, „Sie haben schon durch Ihre Frage, wie Sie sie stellten, die Sinne des Barons gefangen genommen. Sagen Sie einmal, wenn zufällig im Zwischenraum von vielen Jahren von einem Hause nach und nach sechs Dachziegel gefallen wären und einige Leute getötet hätten, würden Sie nicht mehr an diesem Hause vorübergehen?“

„Warum nicht? es müßten nur in diesen Ziegeln geheimnisvolle Kräfte liegen, welche –“

„Wie mutwillig!“ unterbrach ihn die Herzogin, „Sie wollen mich mit meinen geheimnisvollen Kräften nach Hause schicken; aber nur Geduld; das Gleichnis, das Sophie vorbrachte, paßt doch nicht ganz –“

„Nun, wir wollen gleich sehen, wem der Baron recht gibt“, rief jene; „die Sache ist so: wir haben hier eine sehr hübsche Oper, man gibt alles Mögliche, Altes und Neues durcheinander, nur eines nicht, die schönste, herrlichste Oper, die ich kenne; auf fremdem Boden mußte ich sie zum erstenmal hören; das erste, was ich tat, als ich hieher kam, war, daß ich bat, man möchte sie hier geben, und nie wird mir mein Wunsch erfüllt! Und nicht etwa, weil sie zu schwer ist, sie geben schwerere Stücke, nein, der Grund ist eigentlich lächerlich.“

„Und wie heißt die Oper?“ fragte der Fremde.

„Es ist ‚Othello‘![1]

„‚Othello‘? Gewiß, ein herrliches Kunstwerk; auch mich spricht selten eine Musik so an wie diese, und ich fühle mich auf lange Tage feierlich, ich möchte sagen heilig bewegt, wenn ich Desdemonas Schwanengesang[2] zur Harfe singen gehört habe.“

„Hören Sie es? Er kommt von Petersburg, von Warschau, von Berlin, Gott weiß woher – ich habe ihn nie gesehen, und dennoch schätzt er ‚Othello‘ so hoch. Wir müssen ihn einmal wieder sehen. Und warum soll er nicht wieder gegeben werden? Wegen eines Märchens, das heutzutage niemand mehr glaubt.“

[287] „Freveln Sie nicht“, rief die Fürstin, „es sind mir Tatsachen bekannt, die mich schaudern machen, wenn ich nur daran denke; doch wir sprechen unserem Schiedsrichter in Rätseln; stellen Sie sich einmal vor, ob es nicht schrecklich wäre, wenn es jedesmal, so oft ‚Othello‘ gegeben würde, brennte.“

„Auch wieder ein Gleichnis“, fiel Sophie ein, „doch es ist noch viel toller, das Märchen selbst!“

„Nein, es soll einmal brennen“, fuhr die Mutter fort, „‚Othello‘ wurde zuerst als Drama nach Shakespeare gegeben, schon vor fünfzig Jahren; die Sage ging, man weiß nicht, woher und warum, daß, so oft ‚Othello‘ gegeben wurde, ein gewisses Evenement erfolgte; nun also unser Brennen; es brannte jedesmal nach ‚Othello‘. Man machte den Versuch, man gab lange Zeit ‚Othello‘ nicht; es kam eine neue geistreiche Übersetzung auf, er wird gegeben – jener unglückliche Fall ereignete sich wieder. Ich weiß noch wie heute, als ‚Othello‘, zur Oper verwandelt, zum erstenmal gegeben wurde; wir lachten lange vorher, daß wir den unglücklichen Mohren um sein Opfer gebracht haben, indem er jetzt musikalisch geworden – Desdemona war gefallen, wenige Tage nachher hatte der Schwarze auch sein zweites Opfer. Der Fall trat nachher noch einmal ein, und darum hat man ‚Othello‘ nie wieder gegeben; es ist töricht, aber wahr. Was sagen Sie dazu, Baron? aber aufrichtig, was halten Sie von unserem Streit?“

„Durchlaucht haben vollkommen recht“, antwortete Larun in einem Ton, der zwischen Ernst und Ironie die Mitte hielt; „wenn Sie erlauben, werde ich durch ein Beispiel aus meinem eigenen Leben Ihre Behauptung bestätigen. Ich hatte eine unverheiratete Tante, eine unangenehme, mystische Person; wir Kinder hießen sie nur die Federntante, weil sie große, schwarze Federn auf dem Hut zu tragen pflegte. Wie bei Ihrem ‚Othello‘, so ging auch in unserer Familie eine Sage, so oft die Federntante kam, mußte nachher eines oder das andere krank werden. Es wurde darüber gescherzt und gelacht, aber die Krankheit stellte sich immer ein, und wir waren den Spuk schon so gewöhnt, daß, so oft die Federntante zu Besuch in den Hof fuhr, alle Zurüstungen für die kommende Krankheit gemacht und selbst der Doktor geholt wurde.“


  1. Von Rossini.
  2. Desdemonas Schwanengesang ist das Lied „Im Schatten einer Weide etc.“
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891-1909, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_144.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)