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„Und dennoch sollte dieser Himmel von Freudigkeit nur Maske sein? Sie sollte fühlen, schmerzlich fühlen, sie sollte unglücklich lieben und doch so blühend, so heiter sein? Gnädige Frau!“ wandte sich der Fremde zu der Gemahlin des Gesandten, „gestehen Sie, Sie wollen mich mystifizieren, weil ich einiges Interesse an diesem Götterkinde genommen habe.“

Mon dieu! Baron“, sagte diese mit dem Kopfe wackelnd, „Sie glauben noch immer nicht? Auf Ehre, es ist wahr, wie ich Ihnen sagte; sie liebt, sie liebt unter ihrem Stande, ich weiß es von einer Dame, der nichts dergleichen entgeht. Und wie? meinen Sie, eine Prinzeß, die von Jugend auf zur Repräsentation erzogen ist, werde nicht Tournüre genug haben, um ein so unschickliches Verhältnis den Augen der Welt zu verbergen?“

„Ich kann es nicht begreifen“, flüsterte der Fremde, indem er wieder sinnend nach ihr hinsah; „ich kann es nicht fassen; diese Heiterkeit, dieser beinahe mutwillige Scherz – und stille, unglückliche Liebe? Gnädige Frau, ich kann es nicht begreifen!“

„Ja, warum soll sie denn nicht munter sein, Baron? Sie ahnet wohl nicht, daß jemand etwas von ihrer meschanten Aufführung weiß; der Amoroso ist in der Nähe –“

„Ist in der Nähe? o bitte, Madame! zeigen Sie[WS 1] mir den Glücklichen, wer ist er?“

„Was verlangen Sie! Das wäre ja gegen alle Diskretion, die ich der Oberhofmarschallin schuldig bin; mein Freund, daraus wird nichts. Sie können zwar in Warschau wieder erzählen, was Sie hier gesehen und gehört haben, aber Namen? Nein, Namen zu nennen in solchen Affären, ist sehr unschicklich; mein Mann kann dergleichen nicht leiden.“

Die Ouvertüre war ihrem Ende nahe, die Töne brausten stärker aus dem Orchester herauf, die Blicke der Zuschauer waren fest auf den Vorhang gerichtet, um den neuen Don Juan bald zu sehen; doch der Fremde in der Loge der russischen Gesandtschaft hatte kein Ohr für Mozarts Töne, kein Auge für das Stück, er sah nur das liebliche, herrliche Kind, das ihm um so interessanter war, als diese schönen Augen, diese süßen, freundlichen Lippen heimliche Liebe kennen sollten. Ihre Umgebungen, einige ältere und jüngere Damen, hatten zu sprechen aufgehört; [283] sie lauschten auf die Musik; Sophiens Augen gleiteten durch das gefüllte Haus, sie schienen etwas zu vermissen, zu suchen. „Ob sie wohl nach dem Geliebten ihre Blicke aussendet?“ dachte der Fremde; „ob sie die Reihen mustert, ihn zu sehen, ihn mit einem verstohlenen Lächeln, mit einem leisen Beugen des Hauptes, mit einem jener tausend Zeichen zu begrüßen, welche stille Liebe erfindet, womit sie ihre Lieblinge beglückt, bezaubert?“ Eine schnelle, leichte Röte flog jetzt über Sophiens Züge, sie rückte den Stuhl mehr seitwärts, sie sah einigemal nach der Türe ihrer Loge; die Türe ging auf, ein großer, schöner junger Mann trat ein und näherte sich einer der älteren Damen; es war die Herzogin F., die Mutter der Prinzessin. Sophie spielte gleichgültig mit der Brille, die sie in der Hand hielt; aber der Fremde war Kenner genug, um in ihrem Auge zu lesen, daß dieser und kein anderer der Glückliche sei.

Noch konnte er sein Gesicht nicht sehen; aber die Gestalt, die Bewegungen des jungen Mannes hatten etwas Bekanntes für ihn; die Fürstin zog ihre Tochter ins Gespräch, sie blickte freundlich auf, sie schien etwas Pikantes erwidert zu haben, denn die Mutter lächelte, der junge Mann wandte sich um, und – „mein Gott! Graf Zronievsky!“ rief der Fremde so laut, so ängstlich, daß der Gesandte an seiner Seite heftig erschrak und seine Gemahlin den Gast krampfhaft an der Hand faßte und neben sich auf den Stuhl niederriß.

„Ums Himmels willen, was machen Sie für Skandal“, rief die erzürnte Dame; „die Leute schauen rechts und links nach uns her; wer wird denn so mörderisch schreien? Es ist nur gut, daß sie da unten gerade ebenso mörderlich gegeigt und trompetet haben, sonst hätte jedermann Ihren Zronievsky hören müssen. Was wollen Sie nur von dem Grafen? Sie wissen ja doch, daß wir vermeiden, ihn zu kennen!“

„Kein Wort weiß ich“, erwiderte der Fremde; „wie kann ich auch wissen, wen Sie kennen und wen nicht, da ich erst seit drei Stunden hier bin. Warum vermeiden Sie es, ihn zu sehen?“

„Nun, seine Verhältnisse zu unserer Regierung können Ihnen nicht unbekannt sein“, sprach der Gesandte; „er ist verwiesen, und es ist mir höchst fatal, daß er gerade hier und immer nur hier

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: sie
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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891-1909, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_142.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)