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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

das Bild der Hauptindividuen zusammengehörigen Kette von Erzählungen sein sollte, deren ganze Reihe vor dem innern Auge des jungen Dichters stand, aber leider mit ihm so früh zu Grabe ging. Wenn der Leser diese Idee, welche Hauff vor seinem Tode einigen Freunden mitgeteilt haben soll, festhält, so wird sich ihm durch Ahnung der künftigen Entwickelung des noch Unentwickelten die Unvollständigkeit des Schlusses ergänzen, und er wird keine volle Befriedigung in dem Werke suchen, welches an und für sich die volle Befriedigung nicht geben, sondern nur anbahnen will“.

Der Referent der „Blätter für literarische Unterhaltung“ gibt hier in seiner Besprechung eine Andeutung, die sich sonst nirgends findet, und die entschieden auf einem Mißverständnis beruhen dürfte. Man kann sich schon deshalb zu einigen Zweifeln berechtigt glauben, weil jener Referent offenbar selbst nicht genau von dem unterrichtet war, was er hier mitteilt, sondern nur unbestimmte Gerüchte weiterträgt. Vor allem aber gründet sich der Zweifel auf den Schluß jener Novelle selbst, der zwar nicht ganz befriedigend ist, aber doch durchaus keine Veranlassung bietet, noch eine Fortsetzung des Stoffes in einer „Kette von Erzählungen“ zu erwarten. Das Werk ist vollständig abgeschlossen; der Ausgang erregt nur deshalb Anstoß, weil es fast unglaublich erscheint, daß ein Wesen, wie diese Elise es nach des Dichters Schilderung sein soll, gerade da, wo sie ihre Übereilung in dem Bruche mit Palvi erkennt und der Verlust des Geliebten sie doppelt schmerzlich berühren müßte, ohne Zögern eine Verlobung mit dessen Nebenbuhler eingeht. Man könnte ja vielleicht glauben, daß Hauff schließlich doch noch eine Lösung dieses Verlöbnisses und, nach Klärung des Sachverhaltes, eine Wiedervereinigung der Liebenden habe herbeiführen können und wollen; dazu hätte es aber kaum einer neuen Novelle, geschweige denn einer Reihe solcher bedurft; das hätte sich auch in einem weiteren Kapitel ausreichend darstellen lassen.

Eine weitere Besprechung wird den „letzten Rittern von Marienburg“ sodann in Nr. 259 der „Blätter für literarische Unterhaltung“ gewidmet. Der Referent (Nr. 142), der hier das „Frauentaschenbuch auf 1828“ behandelt, kleidet seine Besprechung in eine humoristische Unterhaltung mit der „Dame Kritik“, die ihm das Taschenbuch reicht, und mit der er sich nun darüber unterhält. Sie fragt: „Sollte der Dichter etwa den neuesten Roman Thomas Moores, den ‚Epikuräer‘, gelesen und seine Katastrophe nach der der schönen ‚Arete‘ gemodelt haben?“ – [277] „Ich weiß nicht“, sprach ich. Die heisere Dame schwieg. „Sie schweigen“, fragte ich sie erstaunt; „ich will doch nicht hoffen, weil …“ – „Ich schweige“, erwiderte sie, „weil W. Hauff mit seiner Novelle ‚Die letzten Ritter von Marienburg‘ mir gewissermaßen schon den Mund gestopft hat, indem er selbst mein Geschäft mit so viel Geschick und solcher Meisterschaft der Ironie übernommen hat, daß ich hinfort am besten tue, mein Amt ganz niederzulegen. Sehen Sie nur selbst, mit welchem köstlichen Humor er sich hier über mein Treiben lustig macht und in welche lichthelle Lächerlichkeit er den Verkehr meiner Jünger untereinander hinstellt. Ist der Plan des Ganzen auch wenig glücklich oder eigentümlich zu nennen, so sind die einzelnen Situationen und Charaktere doch mit einer entschiedenen Anlage für Satire und Ironie gezeichnet und angelegt. Der alte Magister Bunker, der Vorbläser des modernen Poetasters, Doktor Zündler, Palvi, der Buchhändler Kaper sind treffliche, aus den reichen Springquellen des Lebens geschöpfte und mit tiefer Beobachtung ausgestattete Figuren, und unter den Situationen ist das kritische Hahnengefecht im Weinkeller und die Enthüllung des poetischen Revenants Zündler voll echten Humors und wahrer Laune. Im Ganzen der Erzählung ist jedoch eine unangenehme Verwirrung und nutzlose Anhäufung wenig oder nichts bedeutender Episoden und Zwischenszenen störend, und die Mustererzählung Herrn Huons, eben jene ‚Ritter von Marienburg‘, ist wesentlich schwach und ohnmächtig. Doch, reinen Mund, mein Bester; der Verfasser schwingt die Bocksgeißel mit gefährlicher Geschicklichkeit; darum reinen Mund, ich bitte Sie!“

Über dieselbe Novelle läßt sich Th. Hell (im „Wegweiser“ Nr. 87 zur „Abendzeitung“ vom 31. Okt. 1827) wie folgt vernehmen: „Wilhelm Hauff hat in seiner Novelle ‚Die letzten Ritter von Marienburg‘ auf eine ausgezeichnet geistreiche Art seinen Stoff eingekleidet, und in der Zeichnung der Charaktere Palvis wie des Magisters sehr schätzbare Menschenbeobachtung gezeigt. Karikatur scheint uns dagegen Doktor Zündler an sich zu tragen, so wie es überhaupt der Beschreibung des Freitagskreises und dessen Treiben an innerer Wahrheit fehlen dürfte. Daß sich die edle Elise durch eine bloß hingeworfene Äußerung ihres Kammermädchens zu solcher Härte gegen den gleich edlen Palvi verleiten läßt, liegt wohl auch nicht in deren Charakter.“

Außerdem hat Hauff selbst noch dieser Novelle eine Kritik gewidmet bei Gelegenheit der Besprechung mehrerer Taschenbücher im „Literaturblatt“ (Nr. 92 vom 16. Nov. 1827) zum „Morgenblatte“. Diese

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 276–277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_139.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)