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steht, anzuwenden, um Euch nützlich zu sein. Liegt doch, wie es Euch auch ergehe, ein Trost für mich darin, daß Ihr diesem Räuberleben Euch selbst und freiwillig entzogen habt.“

Gerührt küßte der Hauptmann die Hand dieser gütigen Dame, flüsterte ihr noch zu, sich zwei Stunden nach Anbruch der Nacht bereit zu halten, und verließ dann, ebenso vorsichtig, wie er gekommen war, die Hütte. Die Gefangenen atmeten freier, als er hinweggegangen war. „Wahrlich!“ rief der Jäger, „dem hat Gott das Herz gelenkt! Wie wunderbar sollen wir errettet werden! Hätte ich mir träumen lassen, daß in der Welt noch etwas dergleichen geschehen könnte, und daß mir ein solches Abenteuer begegnen sollte?“

„Wunderbar, allerdings!“ erwiderte Felix. „Aber habe ich auch recht getan, diesen Mann zu betrügen? Was kann ihm mein Schutz frommen? Saget selbst, Jäger, heißt es ihn nicht an den Galgen locken, wenn ich ihm nicht gestehe, wer ich bin?“

„Ei, wie mögt Ihr solche Skrupel haben, lieber Junge!“ entgegnete der Student, „nachdem Ihr Eure Rolle so meisterhaft gespielt! Nein, darüber dürft Ihr Euch nicht ängstigen, das ist nichts anderes als erlaubte Notwehr. Hat er doch den Frevel begangen, eine angesehene Frau schändlicherweise von der Straße hinwegführen zu wollen, und wäret Ihr nicht gewesen, wer weiß, wie es um das Leben der Gräfin stünde? Nein, Ihr habt nicht unrecht getan; übrigens glaube ich, er wird bei den Gerichten sich einen Stein im Brett gewinnen, wenn er, das Haupt dieses Gesindels, sich selbst ausliefert.“

Dieser letztere Gedanke tröstete den jungen Goldschmidt. Freudig bewegt und doch wieder voll banger Besorgnis über das Gelingen des Planes durchlebten sie die nächsten Stunden. Es war schon dunkel, als der Hauptmann auf einen Augenblick in die Hütte trat, ein Bündel Kleider niederlegte und sprach: „Frau Gräfin, um unsere Flucht zu erleichtern, müßt Ihr notwendig diese Männerkleidung anlegen. Macht Euch fertig. In einer Stunde treten wir den Marsch an.“ Mit diesen Worten verließ er die Gefangenen, und der Jäger hatte Mühe, nicht laut zu lachen. „Das wäre nun die zweite Verkleidung“, rief er, „und ich wollte schwören, diese steht Euch noch besser als die erste!“

Sie öffneten das Bündel und fanden ein hübsches Jagdkleid [263] mit allem Zubehör, das Felix trefflich paßte. Nachdem er sich gerüstet, wollte der Jäger die Kleider der Gräfin in einen Winkel der Hütte werfen, Felix gab es aber nicht zu; er legte sie zu einem kleinen Bündel zusammen und äußerte, er wolle die Gräfin bitten, sie ihm zu schenken und sie dann sein ganzes Leben hindurch zum Andenken an diese merkwürdigen Tage aufbewahren.

Endlich kam der Hauptmann. Er war vollständig bewaffnet und brachte dem Jäger die Büchse, die man ihm abgenommen, und ein Pulverhorn. Auch dem Studenten gab er eine Flinte, und Felix reichte er einen Hirschfänger, mit der Bitte, ihn auf den Fall der Not umzuhängen. Es war ein Glück für die drei, daß es sehr dunkel war, denn leicht hätten die leuchtenden Blicke, womit Felix diese Waffe empfing, dem Räuber seinen wahren Stand verraten können. Als sie behutsam aus der Hütte getreten waren, bemerkte der Jäger, daß der gewöhnliche Posten an der Hütte diesmal nicht besetzt sei. So war es möglich, daß sie unbemerkt an den Hütten vorbeischleichen konnten; doch schlug der Hauptmann nicht den gewöhnlichen Pfad ein, der aus der Schlucht in den Wald hinaufführte, sondern er näherte sich einem Felsen, der ganz senkrecht und, wie es schien, unzugänglich vor ihnen lag. Als sie dort angekommen waren, machte der Hauptmann auf eine Strickleiter aufmerksam, die an dem Felsen herabgespannt war. Er warf seine Büchse auf den Rücken und stieg zuerst hinan; dann rief er der Gräfin zu, ihm zu folgen, und bot ihr die Hand zur Hülfe, der Jäger stieg zuletzt herauf. Hinter diesem Felsen zeigte sich ein Fußpfad, den sie einschlugen und rasch vorwärts gingen.

„Dieser Fußpfad“, sprach der Hauptmann, „führt nach der Aschaffenburger Straße. Dorthin wollen wir uns begeben, denn ich habe genau erfahren, daß ihr Gemahl, der Graf, sich gegenwärtig dort aufhält.“

Schweigend zogen sie weiter, der Räuber immer voran, die drei andern dicht hinter ihm. Nach drei Stunden hielten sie an; der Hauptmann lud Felix ein, sich auf einen Baumstamm zu setzen, um auszuruhen. Er zog Brot, eine Feldflasche mit altem Wein hervor und bot es den Ermüdeten an. „Ich glaube, wir werden, ehe eine Stunde vergeht, auf den Kordon stoßen, den das Militär durch den Wald gezogen hat. In diesem Fall bitte

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 262–263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_132.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)