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der Tapfere sei, erst dann umarmten sie ihn mit Jubel von neuem und priesen sich glücklich, einen solchen Freund zu haben.

Den folgenden Tag, als eben Said mit dem Großweßier bei Harun saß, trat Messour, der Oberkämmerer, herein und sprach: „Beherrscher der Gläubigen, so es anders sein kann, möchte ich dich um eine Gnade bitten.“

„Ich will zuvor hören“, antwortete Harun.

„Draußen steht mein lieber, leiblicher Vetter Kalum-Beck, ein berühmter Kaufmann auf dem Bazar“, sprach er; „der hat einen sonderbaren Handel mit einem Mann aus Aleppo, dessen Sohn bei Kalum-Beck diente, nachher gestohlen hat, dann entlaufen ist, und niemand weiß, wohin. Nun will aber der Vater seinen Sohn von Kalum haben, und dieser hat ihn doch nicht. Er wünscht daher und bittet um die Gnade, du möchtest, kraft deiner großen Erleuchtung und Weisheit, sprechen zwischen dem Mann aus Aleppo und ihm.“

„Ich will richten“, erwiderte der Kalif. „In einer halben Stunde möge dein Herr Vetter mit seinem Gegner in den Gerichtssaal treten.“

Als Messour dankend gegangen war, sprach Harun: „Das ist niemand anders als dein Vater, Said, und da ich nun glücklicherweise alles, wie es ist, erfahren habe, will ich richten wie Salomo. Du, Said, verbirgst dich hinter den Vorhang meines Thrones, bis ich dich rufe, und du, Großweßier, läßt mir sogleich den schlechten und voreiligen Polizeirichter holen; ich werde ihn im Verhör brauchen.“

Sie taten beide, wie er befohlen. Saids Herz pochte stärker, als er seinen Vater bleich und abgehärmt, mit wankenden Schritten in den Gerichtssaal treten sah, und Kalum-Becks feines, zuversichtiges Lächeln, womit er zu seinem Vetter Oberkämmerer flüsterte, machte ihn so grimmig, daß er gerne hinter dem Vorhang hervor auf ihn losgestürzt wäre. Denn seine größten Leiden und Kümmernisse hatte er diesem schlechten Menschen zu danken.

Es waren viele Menschen im Saal, die den Kalifen Recht sprechend hören wollten. Der Großweßier gebot, nachdem der Herrscher von Bagdad auf seinem Thron Platz genommen hatte, Stille und fragte, wer hier als Kläger vor seinem Herrn erscheine.

[205] Kalum-Beck trat mit frecher Stirne vor und sprach: „Vor einigen Tagen stand ich unter der Türe meines Gewölbes im Bazar, als ein Ausrufer, einen Beutel in der Hand und diesen Mann hier neben sich, durch die Buden schritt und rief: ‚Einen Beutel Gold dem, der Auskunft geben kann von Said aus Aleppo.‘ Dieser Said war in meinen Diensten gewesen, und ich rief daher: ‚Hieher, Freund! ich kann den Beutel verdienen.‘ Dieser Mann, der jetzt so feindlich gegen mich ist, kam freundlich und fragt, was ich wüßte. Ich antwortete: ‚Ihr seid wohl Benazar, sein Vater?‘ und als er dies freudig bejahte, erzählte ich ihm, wie ich den jungen Menschen in der Wüste gefunden, gerettet und gepflegt und nach Bagdad gebracht habe. In der Freude seines Herzens schenkte er mir den Beutel. Aber hört diesen unsinnigen Menschen, wie ich ihm nun weiter erzählte, daß sein Sohn bei mir gedient habe, daß er schlechte Streiche macht, gestohlen habe und davongegangen sei, will er es nicht glauben, hadert schon seit einigen Tagen mit mir, fodert seinen Sohn und sein Geld zurück, und beides kann ich nicht geben, denn das Geld gebührt mir für die Nachricht, die ich ihm gab, und seinen ungeratenen Burschen kann ich nicht herbeischaffen.“

Jetzt sprach auch Benazar; er schilderte seinen Sohn, wie edel und tugendhaft er sei, und daß er nie habe so schlecht sein können, zu stehlen. Er forderte den Kalifen auf, streng zu untersuchen.

„Ich hoffe“, sprach Harun, „du hast, wie es Pflicht ist, den Diebstahl angezeigt, Kalum-Beck?“

„Ei freilich!“ rief jener lächelnd. „Vor den Polizeirichter habe ich ihn geführt.“

„Man bringe den Polizeirichter!“ befahl der Kalife.

Zum allgemeinen Erstaunen erschien dieser sogleich, wie durch Zauberei herbeigebracht. Der Kalife fragte ihn, ob er sich dieses Handels erinnere, und dieser gestand den Fall zu.

„Hast du den jungen Mann verhört, hat er den Diebstahl eingestanden?“ fragte Harun.

„Nein, er war sogar so verstockt, daß er niemand als Euch selbst gestehen wollte!“ erwiderte der Richter.

„Aber ich erinnere mich nicht, ihn gesehen zu haben“, sagte der Kalif.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 204–205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_103.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)