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„Ich war die Freundin deiner Mutter“, antwortete die Fee, „und bin auch deine Freundin, so lange du gut bleibst. Ach! daß dein Vater, dieser leichtsinnige Mann, meinen Rat befolgt hätte! Du würdest vielen Leiden entgangen sein.“

„Nun, es hat wohl so kommen müssen!“, erwiderte Said. „Aber gnädigste Fee, lasset einen tüchtigen Nordostwind an Euren Wolkenwagen spannen, nehmet mich auf und führet mich in ein paar Minuten nach Aleppo zu meinem Vater; ich will dann die sechs Monate bis zu meinem zwanzigsten Jahr geduldig dort ausharren.“

Die Fee lächelte. „Du hast eine gute Weise, mit uns zu sprechen“, antwortete sie, „aber armer Said! es ist nicht möglich; ich vermag jetzt, wo du außer deinem Vaterhause bist, nichts Wunderbares für dich zu tun. Nicht einmal aus der Gewalt des elenden Kalum-Beck vermag ich dich zu befreien. Er steht unter dem Schutz deiner mächtigen Feindin.“

„Also nicht nur eine gütige Freundin habe ich?“ fragte Said, „auch eine Feindin? Nun, ich glaube ihren Einfluß schon öfter erfahren zu haben. Aber mit Rat dürfet Ihr mich doch unterstützen? Soll ich nicht zum Kalifen gehen und ihn um Schutz bitten? Er ist ein weiser Mann, er wird mich gegen Kalum-Beck beschützen.“

„Ja, Harun ist ein weiser Mann!“ erwiderte die Fee. „Aber leider ist er auch nur ein Mensch. Er traut seinem Großkämmerer Messour so viel als sich selbst, und er hat recht, denn er hat Messour erprobt und treu befunden. Messour aber traut deinem Freund Kalum-Beck auch wie sich selbst, und darin hat er unrecht, denn Kalum ist ein schlechter Mensch, wenn er schon Messours Verwandter ist. Kalum ist zugleich ein verschlagener Kopf und hat, sobald er hieher kam, seinem Vetter Großkämmerer eine Fabel über dich erdichtet und angeheftet, und dieser hat sie wieder dem Kalifen erzählt, so daß du, kämest du auch jetzt gleich in den Palast Haruns, schlecht empfangen werden würdest, denn er traute dir nicht. Aber es gibt andere Mittel und Wege, sich ihm zu nahen, und es steht in den Sternen geschrieben, daß du seine Gnade erwerben sollst.“

„Das ist freilich schlimm“, sagte Said wehmütig. „Da werde [189] ich schon noch einige Zeit der Ladenhüter des elenden Kalum-Beck sein müssen. Aber eine Gnade, verehrte Frau! könnet Ihr mir doch gewähren. Ich bin zum Waffenwerk erzogen, und meine höchste Freude ist ein Kampfspiel, wo recht tüchtig gefochten wird mit Lanze, Bogen und stumpfem Schwert. Nun halten die edelsten Jünglinge dieser Stadt alle Wochen ein solches Kampfspiel. Aber nur Leute im höchsten Schmuck und überdies nur freie Männer dürfen in die Schranken reiten, namentlich aber kein Diener aus dem Bazar. Wenn Ihr nun bewirken könntet, daß ich alle Wochen ein Pferd, Kleider, Waffen haben könnte, und daß man mein Gesicht nicht so leicht erkennte –“

„Das ist ein Wunsch, wie ihn ein edler junger Mann wohl wagen darf“, sprach die Fee; „der Vater deiner Mutter war der tapferste Mann in Syrien, und sein Geist scheint sich auf dich vererbt zu haben. Merke dir dies Haus; du sollst jede Woche hier ein Pferd und zwei berittene Knappen, ferner Waffen und Kleider finden, und ein Waschwasser für dein Gesicht, das dich für alle Augen unkenntlich machen soll. Und nun, Said, lebe wohl! Harre aus und sei klug und tugendhaft. In sechs Monaten wird dein Pfeifchen tönen, und Zulimas Ohr wird für seine Töne offen sein.“

Der Jüngling schied von seiner wunderbaren Beschützerin mit Dank und Verehrung; er merkte sich das Haus und die Straße genau und ging dann in den Bazar zurück.




Als Said in den Bazar zurückkehrte, kam er gerade noch zu rechter Zeit, um seinen Herrn und Meister Kalum-Beck zu unterstützen und zu retten. Ein großes Gedränge war um den Laden, Knaben tanzten um den Kaufmann her und verhöhnten ihn, und die Alten lachten. Er selbst stand vor Wut zitternd und in großer Verlegenheit vor dem Laden, in der einen Hand einen Schal, in der andern den Schleier. Diese sonderbare Szene kam aber von einem Vorfall her, der sich nach Saids Abwesenheit ereignet hatte. Kalum hatte sich statt seines schönen Dieners unter die Türe gestellt und ausgerufen, aber niemand mochte bei dem alten, häßlichen Burschen kaufen. Da gingen zwei Männer den Bazar

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 188–189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_095.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)