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heulen und zu bellen, und alsobald erschien der Hausknecht und die Frau mit Lichtern.

„Wohin, was wollt Ihr?“ rief die Frau.

„Ich habe noch etwas in meinem Karren zu holen“, antwortete der Fuhrmann, am ganzen Leibe zitternd; denn als die Türe aufgegangen war, hatte er mehrere braune, verdächtige Gesichter, Männer mit Büchsen in der Hand, im Zimmer bemerkt.

„Das hättet Ihr alles auch vorher abmachen können“, sagte die Wirtin mürrisch. „Fassan, daher! Schließ die Hoftüre zu, Jakob, und leuchte dem Mann an seinen Karren.“ Der Hund zog seine greuliche Schnauze und seine Tatzen von der Schulter des Fuhrmanns zurück und lagerte sich wieder quer über die Treppe, der Hausknecht aber hatte das Hoftor zugeschlossen und leuchtete dem Fuhrmann. An ein Entkommen war nicht zu denken. Aber als er nachsann, was er denn eigentlich aus dem Karren holen sollte, fiel ihm ein Pfund Wachslichter ein, die er in die nächste Stadt überbringen sollte; „das Stümpfchen Licht oben kann kaum noch eine Viertelstunde dauern“, sagte er zu sich; „und Licht müssen wir dennoch haben!“ Er nahm also zwei Wachskerzen aus dem Wagen, verbarg sie in dem Ärmel und holte dann zum Schein seinen Mantel aus dem Karren, womit er sich, wie er dem Hausknecht sagte, heute nacht bedecken wolle.

Glücklich kam er wieder auf dem Zimmer an. Er erzählte von dem großen Hund, der als Wache an der Treppe liege; von den Männern, die er flüchtig gesehen, von allen Anstalten, die man gemacht, um sich ihrer zu versichern, und schloß damit, daß er seufzend sagte: „Wir werden diese Nacht nicht überleben.“

„Das glaube ich nicht“, erwiderte der Student; „für so töricht kann ich diese Leute nicht halten, daß sie wegen des geringen Vorteils, den sie von uns hätten, vier Menschen ans Leben gehen sollten. Aber verteidigen dürfen wir uns nicht. Ich für meinen Teil werde wohl am meisten verlieren; mein Pferd ist schon in ihren Händen, es kostete mich fünfzig Dukaten noch vor vier Wochen; meine Börse, meine Kleider gebe ich willig hin; denn mein Leben ist mir am Ende doch lieber als alles dies.“

„Ihr habt gut reden“, erwiderte der Fuhrmann; „solche Sachen, wie Ihr sie verlieren könnt, ersetzt Ihr Euch leicht wieder; [143] aber ich bin der Bote von Aschaffenburg und habe allerlei Güter auf meinem Karren, und im Stall zwei schöne Rosse, meinen einzigen Reichtum.“

„Ich kann unmöglich glauben, daß sie Euch ein Leides tun werden“, bemerkte der Goldschmidt; „einen Boten zu berauben, würde schon viel Geschrei und Lärmen ins Land machen. Aber dafür bin ich auch, was der Herr dort sagt; lieber will ich gleich alles hergeben, was ich habe, und mit einem Eid versprechen, nichts zu sagen, ja niemals zu klagen, als mich gegen Leute, die Büchsen und Pistolen haben, um meine geringe Habe wehren.“

Der Fuhrmann hatte während dieser Reden seine Wachskerzen hervorgezogen. Er klebte sie auf den Tisch und zündete sie an. „So laßt uns in Gottes Namen erwarten, was über uns kommen wird“, sprach er; „wir wollen uns wieder zusammen niedersetzen und durch Sprechen den Schlaf abhalten.“

„Das wollen wir“, antwortete der Student; „und weil vorhin die Reihe an mir stehen geblieben war, will ich euch etwas erzählen.“



Das kalte Herz.
Ein Märchen.
Erste Abteilung.

Wer durch Schwaben reist, der sollte nie vergessen, auch ein wenig in den Schwarzwald hineinzuschauen; nicht der Bäume wegen, obgleich man nicht überall solch unermeßliche Menge herrlich aufgeschlossener Tannen findet, sondern wegen der Leute, die sich von den andern Menschen ringsumher merkwürdig unterscheiden. Sie sind größer als gewöhnliche Menschen, breitschultrig, von starken Gliedern, und es ist, als ob der stärkende Duft, der morgens durch die Tannen strömt, ihnen von Jugend auf einen freieren Atem, ein klareres Auge und einen festeren, wenn auch rauheren Mut als den Bewohnern der Stromtäler und Ebenen gegeben hätte. Und nicht nur durch Haltung und Wuchs, auch durch ihre Sitten und Trachten sondern sie sich von den Leuten, die außerhalb des Waldes wohnen, streng ab. Am schönsten kleiden sich die Bewohner des badenschen Schwarzwaldes; die

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Leipzig., Wien,: Bibliographisches Institut, 1891-1909, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_072.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)